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P e r s ö n l i c h k e i t e n r a s c h w i e d e r v e r s c h w i n d e n .
Indessen können auch äußerliche Erfolge eine starke Vereinheitli-
chung der Gezweiungen bewirken, sofern sie sich nämlich auf Ver-
anstaltung stützen und eine anstaltsmäßige Eingliederung der Ge-
wonnenen schaffen, die allmählich auch das geistige Leben ergreift.
Als grundsätzliche Leistung der Werbung ist aber nicht nur die bewirkte
Vereinheitlichung, sondern auch die H e b u n g gewisser, von ihr erfaßter gesell-
schaftlicher Schichten anzusehen. Werbung ist ebenso aus der Herrschsucht wie
aus der Liebe geboren, ebenso aus der Einsicht wie aus der Beschränktheit, aus
dem Wohlwollen wie aus der Berechnung, ein merkwürdiger Kitt zwischen den
Starken und Schwachen, den Schwachen und Starken, der aber dennoch ein
vernünftiges Regulativ in sich trägt. Ob nämlich Werbung in der Mehrzahl der
Fälle aus ehrlichem Idealismus stammt, oder ob auch leerer Parteigeist und
Eiferertum ihre Rolle spielen, ja ob umgekehrt mancher von ihr zum Nichtigen
und Schlechten herabgezogen wird (Reklame!) — ist für ihre grundsätzliche
Leistung noch nicht ausschlaggebend. Denn die Werbung kann ihrem Begriffe
nach keinen dauernden Erfolg haben, wenn nicht der Ü b e r l e g e n e als Wer-
ber auftritt. Die praktischen Einschränkungen, die hier zu machen wären, mögen
allerdings nicht gering sein, die Überlegenheit mag oft genug aus minder wert-
vollen Eigenschaften stammen. Das Wirken großer Männer beruht nicht zum
geringen Teil auf Werbevorgängen. Ihre Werbung vollzieht sich aber im be-
schränkten Kreise und wird erst stufenweise durch Jünger und Anhänger den
großen Kreisen vermittelt.
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II. Die Wertentlehnung
A. W e s e n u n d A r t e n
Der Werbung entspricht ein verwandter und doch entgegengesetz-
ter Vorgang von Angleichung, den man als Wertvorspiegelung,
W e r t e n t l e h n u n g
(jemandem
„imponieren“)
bezeichnen
könnte. Der Feige, der sich als mutig, der Arme, der sich als reich,
der Stümper, der sich als tüchtig ausgibt, sie alle spiegeln Dinge vor,
die sie für wertvoll halten, aber nicht besitzen. Sie schreiben sich
vermeintliche oder wirkliche Werte zu, ohne sie tatsächlich zu eigen
zu haben, entlehnen sie — ein Bestreben, das bis zur völligen Selbst-
verleugnung gehen kann, wie es mit köstlicher Ironie Andersens
unsterbliches Märchen „D es K a i s e r s n e u e K l e i d e r “
schildert. Denn dort gilt es für wertvoll, für klug, für verständig,
des Kaisers neue Kleider mit Augen zu sehen; er hat zwar in Wirk-
lichkeit gar nichts an, aber er selbst, sein Hofstaat und seine ganze