[465/466]
555
V o l k s t u m e r f ü l l e n . Philosophie, Religion, Wissenschaft,
Kunst, Sittlichkeit — das sind die grundlegenden Inhalte aller Kul-
tur; dazu kommt noch die bestimmte Richtung der Sinnlichkeit
(Sinnesempfindung jeder Art), auf denen sie ruhen. — Die Ge-
samtheit dieser geistigen Inhalte nannten wir schon früher: die
Kulturgemeinschaften. Betrachten wir ihr Verhältnis zum Volks-
tum, so finden wir, daß wir immer nur die wesentlichen Grund-
züge der geistigen Gemeinschaften herauszuschälen brauchen, wenn
wir das Eigenartige eines Volkstums bestimmen wollen. Wollen wir
das Griechische kennzeichnen, so sehen wir, daß es eine durch plasti-
sches, aber metaphysisch gerichtetes, klares Denken und eine eben-
solche Kunst bestimmte Eigenart ist, die den geistigen Inhalt dieses
Volkes bestimmt. Das Indische ist zu kennzeichnen durch die un-
bedingte, kräftige metaphysische Empfindung, die das ganze Leben
und Denken dieser Kultur beherrscht hat. Die Römer sind durch
ihre sittlich-rationalistische Grundlage, durch die daraus abgeleitete
Kraft des Handelns als das weltbeherrschende Staatsvolk gekenn-
zeichnet. Den K e r n u n d d a s W e s e n d e r v ö l k i s c h e n
G e m e i n s c h a f t b i l d e n d i e K u l t u r g e m e i n s c h a f -
t e n .
Welche Rolle können nun neben den Kulturgemeinschaften noch
die anderen Gemeinschaften der Menschen spielen, das ist die Frage,
von deren Beantwortung die Beseitigung aller jener Schwierigkeiten
abhängt, die wir oben gegenüber Staat, Sprache und so fort ange- /
sichts der geschichtlichen Wirklichkeit fanden. Wirtschaftlichen, po-
litischen, technischen Erscheinungen gegenüber bilden sich Denk-
und Gefühlsinhalte, die vergemeinschaftet werden: Stände, Schich-
ten, Parteien, Landsmannschaften, Schulen und Gruppen der man-
nigfachsten Art. Wir haben sie als Neigungsgemeinschaften und
Massenzusammenhänge bezeichnet, die als „abgeleitete Gemeinschaf-
ten“ großenteils wieder auf Wissenschaft, Kunst, Religion als die
ursprünglichen zurückgehen
1
. Dennoch leiten sich wesentliche
Teile ihres Inhaltes nicht unmittelbar von den I n h a l t e n der
Kulturgemeinschaften ab, sondern erst von Mittelgliedern und Fol-
gen (Hilfshandeln, Handeln höherer Ordnung!) und überdies von
dem Äußerlichen, Technischen des gemeinsamen Zusammenlebens
1
Siehe oben S. 440 ff.