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557

3.

Die E i n h e i t d e r G e m e i n s c h a f t e n o d e r d a s

V o l k s t u m a l s S t u f e a u s g e z e i c h n e t e r A u s g l i e -

d e r u n g s f ü l l e u n d E i n h e i t

Die geistigen Gemeinschaften, welche uns in Philosophie, Reli-

gion, Kunst, Wissenschaft, Sittlichkeit begegnen, bilden keine bloße

„Summe“, sondern eine organische Einheit, und zwar nicht bloß

eine solche, wie sie durch die Vorränge der Teilganzen bestimmt ist

(denn diese Einheit herrscht bei allen Volkstümern), sondern dar-

über hinaus eine geschichtliche Einheit, die E i n h e i t d e r

S t u f e .

Im geistigen Stufenbaue des Menschheitslebens

1

findet sich das

V o l k s t u m a l s j e n e S t u f e , i n d e r b e i a u s g e -

z e i c h n e t e r A u s g 1 i e d e r u n g s f ü 1 1 e d i e

g r ö ß t e

E i n h e i t h e r v o r t r i t t . Durch die enge Bindung an Sprache,

Staat, Überlieferung, Geschichte, Rasse, Raum und anderes mehr —

wobei aber keine einzige dieser Bindungen entscheidend ist, keine

einzige das Volkstum ausmacht und jede einzeln entbehrt werden

kann — entsteht im Volkstum jene Einheit des objektiven Geistes,

die über diejenige Einheit, welche der bloße Vorrang der Teilinhalte

untereinander in sich schließt, hinausgeht und durch die es zu einer

geschichtlich einmaligen Tatsache wird.

Die Einheit des Volkstums als eine geschichtliche Einheit des objektiven

Geistes bestimmter Stufe erweist sich freilich empirisch lückenhaft genug, ja

widerspruchsvoll, ähnlich wie die „Einheit des Ich“, wie die individuelle mensch-

liche Seele selbst, die gleichsam in vielen, einander zum Teil überdeckenden

Bewußtseinskreisen wohnt, aber im Denken, Schauen und Handeln, im meta-

physisch-moralischen Gemüt und im künstlerischen Gemüt immer eine und die-

selbe bleibt. Charakter, Drang zur Systembildung sind Äußerungen jener Ein-

heitlichkeit. D a h e r w e i s t a u c h i n d e r G e s c h i c h t e j e d e v ö l k i -

s c h e K u l t u r e i n e e i n h e i t l i c h e A r t a u f . Die indische, griechische,

römische, deutsche Kulturwelt besitzt einen bestimmten, einheitlichen Stil, sie ist

deutlich auf einen beherrschenden Grundzug abgestimmt.

Ist das „V o

1

k s t u m“ die E i n h e i t s e r s c h e i n u n g d e r g e i -

s t i g e n G e - / m e i n s c h a f t e n , die sich geschichtlich auf bestimmter Stufe

des objektiven Geistes mit ausgezeichneter Ausgliederungsfülle zeigt, so wäre es

unrichtig, diese Einheit umwelt-theoretisch erklären zu wollen, das heißt sie

analytisch, bloß auf Grund der Gegenüberstellung der zwei Teilkräfte mensch-

lichen Tuns: A n l a g e — U m w e l t suchen zu wollen; denn die „Umwelt“

ist nicht, wie sich in früheren Zusammenhängen erwies, die Summe einzelner

Reize, sondern das, was wir als Reiz a u f n e h m e n u n d a u f f a s s e n

2

.

1

Vgl. oben S. 306 und

521

2

Siehe oben S. 181 ff.