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geistige Gemeinsamkeit organisatorisch veranlaßt und gestaltet
wird. Eben solche Veränderungen vollziehen sich in allen soge-
nannten Reformen / und Neuerungen des Staatswesens, etwa im
Besteuerungswesen, im Wahlrecht, Handelsrecht und so fort, sie be-
deuten alle ein neues Stück Staatsbildung und Absterben alter Teile.
Der Staat entsteht fortwährend. G a n z e s k o m m t n u r a u s
G a n z e m g l e i c h e r A r t .
H .
D i e Ü b e r h ö h u n g d e s S t a a t e s : S t a a t e n b u n d
u n d „ W e l t s t a a t “ ( V ö l k e r r e c h t )
Die Frage, ob es in demselben Sinne ein Völkerrecht wie ein in-
nerstaatliches Recht gebe, ob daher über dem Staate ein „Ober-
staat“ stehe, z. B. der „Völkerbund“ als ein Oberstaat aufgefaßt
werden könne, ist heute von besonderer Wichtigkeit. Sie lautet in
allgemeiner Fassung:
K a n n d e r S t a a t v o n e i n e m h ö h e r e n S t a a t e n -
g e b i l d e ü b e r h ö h t w e r d e n ? Wenn ja, dann gibt es ein
Völkerrecht in demselben Sinne wie ein Staatsrecht und der „Staa-
tenbund“, „Staatsvertrag“, „Völkerbund“ ist dann ein wahrer Ober-
Staat
1
.
Die Antwort darauf ist eindeutig vorgebildet in unserer Lehre
vom Wesen des Staates als einem Stande (einer Körperschaft, An-
stalt), der sich wie jeder Stand auf einen arteigenen Lebenskreis
und ein Lebenserfordernis des Gemeinwesens gründet; der aber im
Stufenbaue der Ausgliederungsordnung der menschlichen Gesell-
schaft in seiner Eigenschaft als Höchststand und Einheitsträger eine
ausgezeichnete Ausgliederungsfülle aufweist.
Die Herrschergewalt oder Souveränität des Staates zeigt sich zu-
erst verwurzelt in jenem Lebenskreise, den der Staat als Stand (als
Anstalt, Körperschaft) selbst organisiert. Dieser Kreis ist vornehm-
lich mit jenen Lebensnotwendigkeiten bezeichnet, die man „äußere
Politik“ nennt. Die Anstalt (der Stand) Staat ist eben darum nicht
abgetrennt von aller Kultur der Menschheit, er nimmt im Stufen-
baue der Organisationen eine bestimmte Stufe ein, er wird vom
1
Vgl. Alfred Verdroß: Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, Wien
1926, S. 7 ff. und 38 ff.