V i e r t e r A b s c h n i t t
Das Ganze ist früher als der Teil oder das Verhältnis
des Einzelnen zum Ganzen
Die Frage, in welchem Verhältnis der Einzelne zu dem Ganzen
und das Teilganze zu dem Gesamtganzen stehe, haben wir früher
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ausführlich analytisch behandelt. Nun haben wir sie noch als Ver-
fahrenfrage zu betrachten.
Als logisch-methodologische Frage muß sie mit M i t t e l n ange-
packt werden, die unserer jetzigen Zeit fernliegen, nämlich mit den
Mitteln der alten klassischen Logik, wie sie Aristoteles und Platon
gehandhabt haben, ja wie sie sich schon mit aller Deutlichkeit in
den Upanischaden findet. Dieses Mittel liegt in dem uralten Satze
beschlossen: „Das Ganze ist früher als der Teil“, ein Satz, der auch
oberster Leitbegriff der gesellschaftswissenschaftlichen Verfahren-
lehre sein muß.
Wenn man heute ein Lehrbuch der Logik daraufhin durchsieht,
sei es das von Christoph Sigwart, Wilhelm Wundt, Josef Geyser,
Theodor Ziehen, so findet man über diesen Satz — gar nichts.
Warum? Weil unsere Schullogik, so unglaublich es klingt, die Frage
gar nicht kennt; weil das einzige Thema der Wissenschaft seit
Francis Bacon und Galilei die Auflösung aller Ganzheiten war, in-
dem die Wissenschaft seither sich unausgesetzt bemühte, nur das
Verhältnis von Einzelnem (als Stück, als ein „Für-sich“ gesehen) zu
Einzelnem zu erforschen. Der Begriff eines echten Ganzen zerfließt
dieser atomisierenden Naturwissenschaft unter den Händen; wo
Ganzheit auftauchte, behandelt sie sie als eine Anhäufung von Ein-
zelnen, das heißt, sie erforscht getrennte Einzelne und deren Be-
ziehungen zueinander, niemals aber Ganzheit.
Das mochte bei der Naturwissenschaft gelingen; in unserer Wis-
senschaft aber, wo seit Quesnay, Smith, Ricardo bis heute mit ver-
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Siehe oben S. 152 ff. und 302 f.