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Die überkommene empiristische Logik versteht unter dem All-

gemeinbegriffe eine Summe von Merkmalen, die angeblich dadurch

gewonnen wird, daß man in einem Umkreise von Gegenständen

von den ungleichartigen Merkmalen absieht und nur die a l l e n

g e m e i n s a m e n M e r k m a l e ü b r i g / b e h ä l t . Die Be-

griffsbildung wird damit im Grunde eine statistische Aufgabe. Durch

Vernachlässigung der Unterschiede und Hervorhebung des Gemein-

samen, so meint man, entsteht der Allgemeinbegriff. Er wird darum

empiristisch auch die „Gemeinvorstellung“ genannt. Hieraus wird

weiterhin die bekannte Folgerung gezogen: daß „Inhalt“ und „Um-

fang“ eines Begriffes in umgekehrtem Verhältnis zueinander stün-

den. Je größer der Inhalt eines Begriffes, um so kleiner sei sein Um-

fang (die Anzahl der Dinge, die unter ihn fallen), je ärmer aber der

Inhalt, das heißt je weniger gemeinsame Eigenschaften der Begriff

habe, um so mehr Dinge umfasse er. Der Allgemeinbegriff wäre

daher leer, der Individualbegriff voll.

Diese Auffassung des Allgemeinbegriffes durch die empiristische

(und leider auch die kantische) Logik muß durchaus abgelehnt wer-

den

1

.

Durch diese Auffassung des Allgemeinbegriffes wird erstens das

Allgemeine jeder selbständigen Wesenheit beraubt, denn es wäre ja

nur das, was allem gemeinsam ist und besteht in keiner Weise in sich

selbst („Nominalismus“); und zweitens wird es dadurch zu dem „Be-

sonderen“ in einen unüberbrückbaren Gegensatz gebracht. Die Wis-

senschaft besteht darnach n u r in der Erkenntnis des Allgemeinen,

und die Erkenntnis des „Besonderen“ wäre bloß jener vorwissen-

schaftliche Zustand, in welchem die Bildung des Allgemeinbegriffes

noch nicht planmäßig erfolgte. Denn, so ergibt sich von jener Auf-

fassung aus weiter, erst wenn von den unendlich vielen Einzelmerk-

malen der Dinge, von den unendlich vielen Vorstellungen derselben,

den „Individualvorstellungen“, zur Bildung der Allgemeinbegriffe

fortgeschritten werde (welche angeblich jene „unendliche Mannig-

faltigkeit überwinden“ helfen, wie sich sogar noch Rickert ausdrückt

und Windelband annahm), erst dann werde jener entscheidende

* S. * S.

1

Wie dies der Verfasser bereits in seiner „Kategorienlehre“, 1. Aufl., Jena 1924,

S. 344 ff. und öfters [3. Aufl., Graz 1969, S. 349 ff. und öfters] getan.

15*