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s t e m a t i s c h e
d e r
g a n z h e i t l i c h e n
A u s g l i e d e r u n g ,
s e t z t
d i e d u r c h g ä n g i g e B e s t i m m t h e i t d u r c h d i e j e w e i l s h ö h e -
r e n S t u f e n v o r a u s .
/
Indem aber Ausgliederung vor Umgliederung ist, ist auch Theo-
rie vor Geschichte.
Und tatsächlich sehen wir überall, daß Geschichtsschreibung nicht
möglich ist ohne Erkenntnis der Ganzheiten in ihren Ausgliederungs-
zusammenhängen, das heißt ohne Voraussetzung der Allgemein-
begriffe, der Theorie. Solange der Geschichtsschreiber nicht weiß, daß
es Staaten sind, die sich in Krieg und Frieden wandeln, daß Religion,
Sittlichkeit, Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft, Volkstum in allen die-
sen Veränderungen die großen geistigen Wirklichkeiten der Ge-
schichte sind, deren Entfaltung vor sich geht, schreibt er auch keine
Geschichte. Er erzählt höchstens Geschichten — selbst diese nicht
ohne Allgemeinbegriffe. Von den Geschichten zur Geschichte führt
der Weg nur durch die Erkenntnis der Ganzheiten, ihrer Systema-
tik, ihres Gliederbaues — durch die Theorie. Diese muß ja aller-
dings zu diesem Zwecke nicht immer hoch ausgebildet sein, aber
sie muß doch das Grundsätzliche beisteuern.
Z u s a t z ü b e r d e n g e s c h i c h t l i c h e n P o s i t i v i s m u s
Die Geschichte soll sagen, „wie es gewesen ist“. Dies große Wort
Rankes wird heute rein positivistisch verstanden, es wird nach Art
des induktiven Verfahrens verstanden, als ob die geschichtlichen
Ereignisse Kieselsteine zum Greifen, Wägen, Messen wären! Hier
beginnt schon der Kampf gegen den Positivismus. Die Geschichte
kann nie sagen, „wie es eigentlich gewesen“ ist, wenn sie nicht den
Gehalt des „Gewesenen“ erkennt. Welches ist aber dieser Gehalt?
— jener an Gesellschafts-, Geistes-, Kulturleben, der G a n z h e i t s -
g e h a l t d e r E r e i g n i s s e !
Handelt es sich bei der Schätzung einer Schlacht, eines Staates,
eines Völkerzuges, einer Religionsstiftung, einer Kunstschule —
etwa um sinnliche Eindrücke des Pulverdampfes und Kanonen-
donners, des Staatsmannes, der örtlichen Völkerbewegung, der Aus-
maße eines Kunstwerkes und dergleichen, handelt es sich um die
sinnlichen Eindrücke der Augen, Ohren, Hände? Gewiß nicht. Man
brauchte auch über die Möglichkeit einer solchen sinnlichen Schil-