146
[130/131]
k e i t s r i c h t u n g e n . Diese schöpften sämtlich aus der mysti-
schen Erfahrung, hoben aber der einen oder anderen Bezug zum
Leben besonders hervor.
Das zeigen in ihrer Weise aufs lehrreichste die R i t t e r o r d e n
mit ihrer staatsbildenden Kraft, am deutlichsten wohl der Deutsche
Ritterorden mit seinen zehnstufigen Weihen. In ihren guten Zeiten,
das heißt solange sie den mystisch-religiösen Geist bewahrten, er-
wiesen alle Ritterorden die fruchtbaren Kräfte der mystischen
Urerfahrung, welche ihnen zugrunde lag. Albrecht Dürers „Ritter,
Tod und Teufel“ drückt mit den Mitteln der Kunst das aus, was
jene Orden im tätigen Leben zeigten.
Nur soweit die Ausstrahlungen der Mystik reichen, ist rechtes
Leben, ist gottdurchdrungenes Leben. Wo diese Ausstrahlungen
nicht mehr hinreichen, verfällt es immanenten Kräften, entgeistet
es sich mehr und mehr.
Nur wer über dem Leben steht, vermag es zu meistern. Die Kraft
dazu quillt zuletzt allein aus dem Born der Mystik. Nur die Mystik
führt über das Leben hinaus und vermag dadurch seinen Sinn zu
erfüllen.
Wenden wir uns dem zu, was die Mystik zur konkreten Begrün-
dung und Gestaltung der Religion beiträgt, so erkennen wir in ihr
die wahre Urquelle der Religion.
Für die Religionsgeschichte und Religionssoziologie ergibt sich
daraus die grundlegende Erkenntnis, daß die Religion nicht aus
niederen Anfängen entstand, sondern aus dem Keim der Mystik,
welcher von U r z e i t e n b i s h e u t e d e r s e l b e b l e i b t .
Nicht Aufwärtsentwicklung aus dem Nichts, sondern „Gründung“
und darauf folgende „Entfaltung“ des einmal Gegründeten sind /
die Wege der Religion, wobei die Entfaltung allerdings immer wie-
der durch Schwäche, Entartung, Verfall, gestört wird
1
.
Daß in der Mystik die tiefste Begründung und zugleich Kon-
kretisierung der Religion liege, ergaben die oben geführten Nach-
weise. Sie machen auch verständlich, warum die höchsten Religio-
nen einzig jene sind, in denen die mystische Begründung vor-
1
Näheres darüber im Abschnitt Urreligion, siehe unten S. 343 ff.