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herrscht: Die b r a h m a n i s c h e R e l i g i o n der Upanischa-
den, der Bhagavadgita und verwandter Texte, ferner der B u d -
d h i s m u s , d e r T a o i s m u s , die O r p h i k , die griechischen
und ägyptischen M y s t e r i e n u n d d e r S u f i s m u s des Islam.
Auch im C h r i s t e n t u m finden wir das mystische Evangelium
Johannis als das tiefste.
Die durch die Mystik erfolgende Begründung und Konkretisie-
rung kann demgemäß keiner Religion gänzlich fehlen.
Wir können die Hauptpunkte folgendermaßen zusammenfassen:
1.
Das ursprüngliche B e w u ß t s e i n G o t t e s als eines hoch über allem
Naturhaften seienden Wesens. Die nachträgliche Konkretisierung des Gottes-
bewußtseins erfolgt durch Denken im B e g r i f f Gottes, durch Handeln
im K u l t u s .
2.
Das Bewußtsein der E i n h e i t v o n G o t t u n d W e l t , welches zu-
gleich Bewußtsein der G o t t e s d u r c h d r u n g e n h e i t der Welt des
Menschen ist, was sich ebenfalls im Kultus konkret auswirkt.
3.
Das Bewußtsein der G o t t v e r w a n d t s c h a f t d e s M e n s c h e n ,
welches in verschiedenen begrifflichen Fassungen — bis zur realen Einerlei-
heit gesteigert, was wieder zum P a n t h e i s m u s führt — allen Reli-
gionen angehört. Von hier aus erlangen die Religionen auch den für sie
grundlegenden Begriff der h o h e n W ü r d e d e s M e n s c h e n . Je mehr
dieser Begriff einer Religion verloren geht, umso schwächer sind ihre my-
stischen Grundlagen und ihre Fähigkeiten, die Kultur zu führen.
Hier liegt eine bedeutsame Quelle der Konkretisierung der Religionen.
4.
Das U n s t e r b l i c h k e i t s b e w u ß t s e i n , welches wieder zur Se-
l i g k e i t im zukünftigen Sein führt. Denn sowohl die Gottverwandt-
schaft des Menschen wie die Einheit von Gott und Welt schließt beides in
sich. In Form der T o t e n v e r e h r u n g ergibt sich daraus eine für jede
Religion bedeutsame Konkretisierung. — Da hier begriffliche Deutung und
Anwendung freies Spiel haben, erkennen wir die Möglichkeit v i e l -
f a c h e r Konkretisierungen, auch von Entartungen (Fehlausgliederungen),
wie sie besonders dann sichtbar sind, wenn der A h n e n d i e n s t einen
großen Teil der Religion einnimmt oder sich barbarische Begräbnissitten —
mit Menschenopfern unter anderem — ergeben. /
5.
Als Ableitungen aus der mystischen Erfahrung zeigten sich: der G o t t e s -
b e g r i f f , welcher wesentlich zu einem Begriff der P e r s ö n l i c h k e i t
Gottes führt, die aber auch als den Menschen unausschöpfliche Ü b e r p e r -
s ö n l i c h k e i t , sowie als überwältigende Macht und tremendum er-
scheint; ferner der aus dem Vergleich der erlebten Herrlichkeit und Selig-
keit Gottes mit der Unvollkommenheit der Welt sich ergebende Begriff
des A b f a l l s einerseits, der E r l ö s u n g andererseits mit den weiteren
Folgekategorien: S ü n d e , S c h u l d , G n a d e , V e r m i t t l u n g .
Eine Einheit oder Gottdurchdrungenheit von Mensch und Welt
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schließt
in bezug auf den menschlichen Geist unmittelbar in sich: das Bewußtsein
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Siehe oben 2.
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