[125/126]
141
In diesem, vielleicht größten Wort der Religionsgeschichte liegt
der Schlüssel für alle Fragen, die mit dem Verhältnis von Religion
und Welt und insbesondere von Mystik und Welt Zusammenhängen.
Diese Frage ist so wichtig, daß wir sie von Anfang an entwickeln
müssen.
Der im Gotteserlebnis verzückte Mystiker ist gewiß von der Welt
abgewandt. Sein Reich ist nicht von dieser Welt. Das ist die erste
und oberste Grundtatsache aller Mystik. Aber nun die andere: Es
ist dem Menschen nicht gegeben, in diesem Zustand zu verharren.
Wir leben nicht in der Verzückung, nicht im Schauen. Aber wir
nehmen vom Schauen e t w a s i n d i e W e l t m i t . Und das
verbindet die beiden scheinbar einander ausschließenden Worte:
„Mein Reich ist nicht von dieser Welt“
1
, und: „Gebet dem Kaiser,
was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist“
2
.
Mit anderen Worten: Durch die absolute Überhöhung des irdisch-
natürlichen Seins vermittels der mystischen Erfahrung wird das
irdische Leben des Menschen seiner Realität, seiner Aufgaben und
seines Ernstes nicht entkleidet, sondern vielmehr umgekehrt in ein
höheres Licht gehoben; es wird auf jenes höhere Wertreich stets
innerlich bezogen, gleichwie Eichendorff sagt: /
„Die Freude kann nicht gleich verklingen,
Und von des Tages Glanz und Lust
Ist so auch mir ein heimlich Singen
Geblieben in der tiefsten Brust.“
Das ist freilich nicht leicht durchzuführen. Aber an dieser Auf-
gabe, das Irdische in uns mit dem Überirdischen in uns zu verbinden,
und zwar im realen Fortgang des Lebens, muß sich jede Religion
versuchen. Ja, dieser Versuch ist ihr Um-und-auf.
Überall dort, wo die Religionen oder einzelnen Richtungen in
ihnen eine nackte Askese, eine völlige Abkehr von der Welt zu leh-
ren versuchten, überall dort verfehlten sie in Wahrheit ihr Ziel. Sie
veräußerlichten den mystischen Weg oder sie verallgemeinerten ihn
auf durchaus falsche Weise, denn sie mußten dabei immer annehmen,
das mystische Schauen lasse sich als Dauerzustand aufrecht erhalten,
der Mensch vermöge es, schon hienieden nur in Gott zu leben.
1
Johannes 18, 36.
2
Lukas 20, 25.