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Daß auch der religiöse Genius und der Mystiker ihrer zum Teil be-
darf, erklärt uns auch dessen feste innerkirchliche Stellung: nicht zu-
fällig sehen wir in der Geschichte, wie sich die frömmsten Menschen
dem Herkömmlichen unterwerfen. Das ist nicht Ruhebedürfnis oder
Anpassung, sondern trägt dem Wesen der Sache Rechnung.
Die Schichte der schlichten Frömmigkeit ist ferner, wie jedermann
sieht, der Boden, auf welchem die U n t e r s c h i e d e i n d e n
c h r i s t l i c h e n B e k e n n t n i s s e n vornehmlich zur ge-
schichtlichen Entwicklung kamen: Es sind Unterschiede, welche nicht
allein der Bekenntnisrichtung selbst, sondern zugleich den sittlichen,
philosophischen und kulturellen Zuständen überhaupt zuzuschrei-
ben sind. Das beweist schon ein Blick auf die östliche Kirche (Ruß-
land), aber auch auf das protestantische Skandinavien und Nord-
deutschland etwa im Vergleich mit dem katholischen Süditalien.
V.
Die weltumgestaltende Wirkung des Christentums
Wer das Christentum beurteilen will, bedenke, daß es seit seinem
Auftreten begann, die Welt umzugestalten, zuerst die griechisch-
römische, dann die germanische und später die slawische Welt. Bald
war der fortgeschrittene Teil der Menschheit christlich.
Das ist eine unleugbare Tatsache von entscheidender Bedeutung.
Wer sie näher untersucht, wird sie nicht verkleinern, sondern sieht
sie ins Ungeheure vergrößert.
Uber diese Tatsache setzen sich unter anderem diejenigen hinweg,
welche die Annahme des Christentums durch die Germanen bedau-
ern. Sie bedenken nicht, daß hier eine höhere geschichtliche Notwen-
digkeit vorlag, daß es sich auch keineswegs um Entschlüsse ein- /
zelner Fürsten handelte, vielmehr sowohl die gotischen wie später
die anderen germanischen Stämme das Christentum nicht nur äußer-
lich annahmen, sondern, was noch mehr bedeutet, dabei ihr inneres
Wesen umgestalteten, und zwar in der Weise, daß sie damit eine
andere, höhere Richtung der geistigen Kultur einschlugen! Nicht nur
die Ost- und Westgoten, die Burgunder, Franken, Langobarden, An-
gelsachsen, welche alle das Christentum freiwillig, fast unblutig an-
nahmen, auch die beiden nordischen Olafe bezeugen dies aufs deut-
lichste. Bei der einzigen Ausnahme, den Sachsen, spielte ein politi-
sches Moment, die staatliche Selbstbehauptung gegenüber den Fran-
ken, die entscheidende Rolle.