394
[359/360]
gerechte“
1
— auch das böse und sich verkehrende Glied ist als rück-
verbundenes Glied von der Gottheit gehalten, getragen, durchdrun-
gen.
Dies ist es, was der B e r g p r e d i g t ihre Erhabenheit und Lau-
terkeit verleiht.
Wesentlich sind hier die bestehenden Vorränge: Die Nächstenliebe
ist nicht allein aus der menschlichen Gemeinschaft oder Gezweiung
2
,
vielmehr vor dieser noch aus der Rückverbundenheit zu erklären:
Die Gottesliebe steht vor der Nächstenliebe und begründet sie. Gott
ist in jedem Glied, auch in dem verbildeten — und darnach muß
gehandelt werden.
Freilich ergibt sich hier die Frage, wie weit das verbildete Glied die
gesunde Ganzheit gefährde. Wird diese Gefährdung wesentlich, dann
muß das Glied in seine Schranken gewiesen werden: Strafe ist daher
ihrem reinen Wesen nach weder Rache noch Vergeltung, sondern
Folge einer Abwendung von der befassenden, tragenden Ganzheit
— Selbstzerstörung!
E.
S c h a u e n d e s u n d t ä t i g e s L e b e n . N o c h m a l s d e r
W e r t d e s M e n s c h e n
Das Verhältnis des mystischen, schauenden Lebens zum tätigen
Leben bestimmte das Christentum grundsätzlich als Weltüber- /
höhung, Weltüberwindung, aber nicht als Weltverneinung. „Trach-
tet zuerst nach dem Reiche Gottes, so wird euch das übrige alles zu-
fallen“
3
. Hiermit ist ausgesprochen, daß die s i n n l i c h e W e l t
a u s d e r ü b e r s i n n l i c h e n h e r a u s zu erfassen sei. Nicht
verworfen wird die Welt, sondern überhöht. Das Sinnliche wird be-
faßt vom Übersinnlichen.
Darum sagte Meister Eckehart: „Aus Deinem innersten Grunde
sollst Du wirken alle Deine Werke sunder warumbe“
4
. „Täte ein
Mensch auch große Werke, sein Herz aber wäre unstet — es hülfe
ihm wenig oder nichts“
5
.
1
Mattheus 5, 45.
2
Vgl. meine Gesellschaftslehre, 3. Aufl., Leipzig 1930, S. 205 [4. Aufl., Graz
1969, S. 251],
3
Mattheus 6, 33.
4
Franz Pfeiffer: Meister Eckhart, Leipzig 1857, S. 66, Zeile 5 f.
5
Franz Pfeiffer: Meister Eckhart, Leipzig 1857, S. 200, Zeile 25 f.