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Gottverwandtschaft folgende Geistigkeit und Innerlichkeit des
neuen Gottesbegriffes, die wir schon öfters hervorhoben: „Gott ist
Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geiste und in der
Wahrheit anbeten“
1
. — „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußer-
lichen Gebärden; man wird auch nicht sagen: Siehe hier! oder da ist
es! Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch“
2
.
Weder die höchste der früheren Religionen, für welche wir die
Religion Zarathustras halten, noch selbst die Philosophie der Upani-
schaden und Platons vermochten zu so gründlicher, an die Wurzel
gehender Läuterung des Gottesbewußtseins zu gelangen. Die von
jenen Worten bezeugte Haltung allein vermochte es, den Menschen
aus den tausendfachen Banden des heidnischen Gottesdienstes, zumal
der blutigen Opfer, der Menschenopfer, der Dämonendienste, der
Tierdienste und ihrer Greuel zu befreien, damit aber auch aus den
das ganze Leben fesselnden Banden der Magie, welche mit dem ge-
samten damaligen Religionswesen so innig verschlungen war, zu
lösen! Nur durch den geistigen Gottesbegriff des Christentums war
endlich auch das abschnürende, die Gemeinschaft verengende Ge-
setzes- und Tabuwesen der Juden wie der Heiden zu überwinden.
Man wende nicht ein, daß die Mystik der Inder, Chinesen, Grie-
chen, Neuplatoniker, Sufiten dasselbe geleistet hätte. Gewiß, sie war
großenteils dazu gerüstet. Aber die Geschichte lehrt unleugbar: jene
Mystik leistete in ihrer W i r k u n g a u f d i e R e l i g i o n nicht
dasselbe wie das Christentum. Ebensowenig wie die indische Mystik
je das heidnische Opfer- und Zauberwesen beseitigte oder auch nur
reinigte (man lese einmal den / Atharvaveda), sondern praktisch alles
bestehen ließ, auch das Widernatürlichste, wie Kinderehen, grausames
Schicksal der Kinderwitwen, Witwenverbrennung, Übertreibung der
Kastenunterschiede; ebenso wenig vermochte dies der Platonismus
und der Neuplatonismus; ebenso wenig vermochte später die per-
sische Mystik die mohammedanische Religion und ihre Ausübung
dauernd auf eine höhere Stufe zu heben.
Hier haben wir eine gewaltige geschichtliche Bewährung des Chri-
stentums vor uns. Und wer sie würdigt, muß sich sagen: sie ist noch
nicht erschöpft!
1
Johannes 4, 24.
2
Lukas 17, 20.