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Martin Heidenhain

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sagt: „Man denke an eine Biene, welche über eine

blumige Wiese hinwegfliegt und Nahrung sucht für ihre Nachkommenschaft. Eine

solche Tätigkeit ist nur als ,Brutpflege' zu begreifen; wird sie in rein mechanisti-

schem Sinne aufgefaßt, so nimmt man der biologischen Betrachtung ihren

wesentlichen Kern.“ Karl Faigl erläutert diesen Gedankengang weiter wie folgt

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:

„Das, was wir ,Brutpflege' der Bienen nennen, ist nichts als eine Reihe von

äußerlich wahrnehmbaren Handlungen. Diese Reihe von Handlungen bildet eine

Einheit, die seit jeher vom Imker als solche erfaßt wurde . . . Uexküll

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spricht

von den ,Funktionskreisen' des Mediums, der Nahrung, der Feindschaft, des

Geschlechtskreises, des Eltern-Kind-Verhältnisses. Alle diese Funktionskreise . . .

ü b e r b a u e n die Unterganzheit Individualität und weisen auf eine höhere

Ganzheit hin: Gattung . . .“ — Später fügt Faigl hinzu: Jedes solche organi-

sche Geschehen „steht unter einem Zentrum, unter einer Ganzheit (hier Funk-

tionskreis), deren Wirkungsart auch aus der V e r g a n g e n h e i t zu bestim-

men ist, nicht bloß aus dem Momentanzustande“

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(während die Physik aus

dem Momentanzustande bei Gegebenheit aller Anfangswerte mechanisch wei-

terrechnet) .

Dieses Beispiel der Biene, die als Einzelwesen in ihrem Tun zwin-

gend darauf hinweist, daß sie von einem höheren Ganzen „ ü b e r -

b a u t “ ist, sagt deutlich, wie und in welchem Sinne auch die von

mir — unabhängig von aller Biologie und rein aus den Prämissen

der volkswirtschaftlich-soziologischen Analysis — entwickelte Ver-

fahrenlehre „Ganzheit“ behauptet. Sehe ich z. B. einen Wirtschafter

handeln, sei es einen Arbeiter, sei es einen kommerziellen Direktor

im Betriebe, sei es einen Agenten, der für den Betrieb auf dem

Markte verkaufen will, so sage ich mir im Gegensatz zu den indivi-

dualistischen Klassikern, daß sein Handeln nicht aus ihm allein

heraus verständlich sei, sondern daß die höhere Ganzheit „Betrieb“

in ihm a l s e i n B e s t i m m u n g s s t ü c k d e s G e s c h e -

h e n s m i t d a b e i i s t . Dieses nenne ich die Gliedhaftigkeit des

Handelns der Einzelnen. (Ebenso zeigt sich die Gliedhaftigkeit des

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Martin Heidenhain: Formen und Kräfte in der lebendigen Natur, Berlin 1923, S. 134;

angeführt bei Karl Faigl: Ganzheit und Zahl, S. 120.

64

Karl Faigl: Ganzheit und Zahl, S. 120 f. (von mir hervorgehoben). — Vgl. auch den

Abschnitt „Das überindividuell Seelische“, in: Erich Becher: Einführung in die Philosophie,

München 1926, S. 284 ff.

65

Jakob von Uexküll: Theoretische Biologie, Berlin 1920, S. 97 ff.

66

Karl Faigl: Ganzheit und Zahl, S. 123.