Othmar Spann und die philosophische Tradition
v o n
J o s e f L o b
In der Philosophie des 20. Jahrhunderts ist nirgends die Tradition
so lebendig wie im Universalismus. Othmar Spann hielt sein philoso-
phisches System für keine Neugründung. Er ordnete sich vielmehr
bescheiden in die Tradition ein. In seinem grundlegenden Werke
,,Der Schöpfungsgang des Geistes“ (Bd 10) schrieb er:
„Darum möchte dieses Buch auch nicht für mehr gehalten werden,
als es ist. Eine neue Wahrheit zu den alten hinzuzufügen, möchte
es sich nicht vermessen. Genug, wenn es die alten Wahrheiten zu
erneuern vermag. Es gibt überhaupt keine neue Grundwahrheit in
der Geschichte der Philosophie. Unversieglich sind die Quellen des
Geistes, und es sind immer dieselben Urgedanken, die er ans Licht
bringt. Was wir vermögen, ist lediglich, die alten Wahrheiten so
auszusprechen, wie sie aus den uns und unserer Zeit eigenen Auf-
gaben und Fragen, aus den uns in jeder Zeit allein eigenen Vorder-
sätzen und geschichtlichen Lebenslagen folgen“ (Bd 10, 10).
Wie Spann sich selbst und die anderen namhaften Autoren und
Lehrmeinungen in die Geschichte der Philosophie einordnet, das
lehrt sein Werk „Philosophenspiegel“ (Bd 13). Spann rechnet mit
den Autoren ab, die glaubten, die Tradition vernachlässigen oder
gar verwerfen zu dürfen. Die Meinung, man könne immer wieder
von vorne anfangen, führe „noch weiter in den Nihilismus“ (Bd 13,
316). Die Bedeutung der Tradition im Leben und in der Wissenschaft
hält Spann der Jugendbewegung seiner Zeit sehr drastisch vor:
„Leider muß man sich hier wie mancherorts im modernen Leben
an die Redensart vom ,kleinen Moritz' erinnern, an das Kind, das
,aus Eigenem schafft' Was ist das? — die G e s c h i c h t s l o s i g -
k e i t ! Das Nicht-Anknüpfen an die Überlieferung, das Ablehnen