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der Zucht und Erziehung. Nicht-Anknüpfen, Geschichtslosigkeit
ist aber Bruch. Jeder Bruch hat die ungeheure Gefahr, daß man
sich der Täuschung hingibt: man könne von neuem anfangen, ohne
an Voraussetzungen anzuknüpfen. Aber gerade das ist unmöglich
und noch nie dagewesen in der Geschichte. Alle Geschichte beruht
auf Anknüpfung, alle Umgliederung setzt ein früher Entfaltetes,
alle Gründung ein früher Gegründetes voraus“ („Geschichtsphiloso-
phie“, Bd 12, 256 f.).
An der Oberfläche freilich zeigt sich in der Geschichte der Philo-
sophie vor allem Gegensatz und Widerspruch, ja ein Durcheinander
unverträglicher Meinungen. Dieser Zustand führt diejenigen, die
nur die Oberfläche sehen und nicht zur Vertiefung fähig sind, zu
Skeptizismus, Relativismus und Agnostizismus. Den Zweiflern hält
der „Philosophenspiegel“ die Erkenntnis Leibnizens entgegen, die
dieser in dem Briefe an Remon vom 26. 8. 1714 ausspricht:
„Die Wahrheit ist weiter verbreitet als man gemeinhin annimmt,
doch tritt sie uns sehr häufig geschminkt entgegen oder stellt sich
uns verhüllt, ja geschwächt. . . dar. Wenn man die Spuren der Wahr-
heit bei den Alten . . . kenntlich machte, so würde man das Gold
aus dem Kot, den Diamanten aus der Grube und das Licht aus
der Finsternis ziehen, und es wäre das in der Tat p e r e n n i s
q u a e d a m p h i l o s o p h i a “ (Bd 13, 13 f.).
Dieses Zitat kann geradezu als Grundgedanke Spanns bei der
Arbeit an seinem „Philosophenspiegel“ gelten.
I.
I. Die Einheit der Philosophie
Die Philosophie hat es schwerer als die Fachwissenschaften. Die
Oberflächennähe ihres Forschungsgebietes erleichtert diesen die
Exaktheit. Bei leichten Aufgaben lassen sich eher Fehler vermeiden,
bei schweren ist das Scheitern verständlicher. Darum erinnert Spann
an Schillers Wort:
„Nur das feurige Roß, das mutige, stürzt auf der Rennbahn. Mit bedächtigem
Paß schreitet der Esel daher.“
Dazu kommt, daß in einer chaotischen Zeit besonders die Philo-
sophie im argen liegt. Diesen Zustand wollte Spann durch die Wieder-