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herstellung der großen Tradition überwinden. Freilich genügt dazu

nicht die Rekonstruktion der Lehrgeschichte. Das 19. Jahrhundert

war ja ein Jahrhundert der Geschichtswissenschaft. Die Philosophen

wissen jetzt weit mehr von der Philosophie der Vergangenheit, als

frühere Generationen wissen konnten. Aber diese geschichtlichen

Kenntnisse haben uns wenig geholfen. Sie haben uns noch mehr

verwirrt! Wir versanken nur noch tiefer in den Skeptizismus. Die

geschichtlichen Veränderungen können eben nur auf der festen

Grundlage der erkannten ü b e r g e s c h i c h t l i c h e n Wahr-

heiten beurteilt werden. Diese lehrt uns die Metaphysik, und auf

deren Wiedergeburt kommt es vor allem an.

Daß zeitbedingte Fragen wegen ihrer zuzugebenden Dringlich-

keit in den Rang überzeitlicher Grundfragen aufgewertet wurden

und daß andererseits echte Grundwahrheiten der Philosophie an

den Rand gerückt oder überhaupt vergessen wurden, das ist eine

der Hauptursachen der Irrtümer, der Gegensätze, der Verwirrung

und des Verfalles.

Die Aufgabe ist also eine zweifache: Zuerst sind die metaphysi-

schen Grundwahrheiten, gereinigt von zeitlichen Entstellungen,

darzustellen und sodann ist zu zeigen, wie sich aus der Entstellung

der Grundwahrheiten die Mängel in der Geschichte der Philosophie

erklären lassen.

Darüber hinaus wird es nur dann gelingen, die Philosophie im

Sinne Leibnizens als eine E i n h e i t zu begreifen, wenn man sie

zugleich als G a n z h e i t begreift. Aber nur derjenige kann eine

Ganzheit begreifen, der ganzheitlich denken kann. Weil die meisten

Historiker und Systematiker der Philosophie Nominalisten und

Individualisten sind, können sie die Einheit der Philosophie nicht

erklären.

Ein ganzheitlicher Begriff der Philosophie muß naturgemäß seinem

Umfange nach alle wesentlichen Teilbereiche der Philosophie ein-

schließen. Ein philosophisches System oder eine philosophische

Erkenntnistheorie, die einen wesentlichen Teilbereich als „unwis-

senschaftlich“ ausschließen will, kann die Philosophie nicht als Ganz-

heit darstellen. Dazu gehört der Positivismus, der die Metaphysik

ausschließt. Es kann dahingestellt werden, wo die Grenze zwischen

der Philosophie als Zentralwissenschaft und den Fachwissenschaften