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gezeigt werden, was aus ihr für die Verlebendigung der philosophi-
schen Tradition gewonnen werden kann und was Othmar Spann auch
gewonnen hat.
1. Es wurde bereits ausgeführt, daß die idealistische Philosophie
nicht ohne Besinnung auf ihre mystischen Grundlagen verstanden
werden kann. Mystik ist nach Spann die Rückverbundenheit mit Gott,
dem Schöpfer, und seinen Schöpfungsgedanken, den Ideen. Spanns
große Leistung — erbracht in seinem Werke „Kategorienlehre“ — ist
die Erkenntnis und die begriffliche Bewältigung der Lehre von der
Rückverbundenheit. Diese ist eine allgemeine Seinskategorie und gilt
für alle, auch die abgeleiteten Mitten des Seins. Auf die Schöpfung
angewandt, besagt diese Lehre: Die ganze Schöpfung bleibt im
Schöpfer als ihrer Urmitte rückverbunden. Der Schöpfungsgang ist
nicht eingleisig nach außen gewandt. Der Schöpfungsgedanke als
schöpferische Macht (Idee) bleibt beim Schöpfer, auch wenn er nach
außen — in Raum und Zeit — verwirklicht wird. Rückverbundenheit
und Ausgliederung (in der Terminologie Spanns), Innebleiben und
Heraustreten (in der Sprache Eckeharts) bedeuten dasselbe. Sie sind
unentbehrliche Seinsweisen, die aber gleichwohl in der philosophi-
schen Tradition meist vergessen wurden. So wird auch bei Meister
Eckehart von den Historikern über sie nicht gesprochen. Und doch
redet der Meister klar:
,,Ez ist ein wunderlich dinc, daz ein dinc uz vliuzet und doch inne
belîbet“
6
.
„Swenn ich kume in den grunt, in den bodem, in den river und in
die quelle der gotheit, so frâget mich nieman, wannen ich kome oder
wâ ich sî gewesen. Da vermiste mîn nieman“
7
.
2. Bei Meister Eckehart und Spann genügt nicht das Innebleiben
in Gott. Da gäbe es ja keine Schöpfung und keine Geschichte. Zum
Ruhen in Gott muß das Wirken nach außen dazukommen.
„Daraus ist es sonnenklar, warum Eckehart keinerlei Q u i e t i s m u s
lehren konnte, welcher sonst die Gefahr der Mystiker ist. Nicht Weltflucht,
sondern ,durch die Welt hindurch' mußte nun Eckeharts Grundsatz sein. Da jede
6
Meister Eckhart, herausgegeben von Franz Pfeiffer (1857), 4. Aufl., Göttingen 1924,
S. 206, Zeile 28.
7
Meister Eckhart, S. 181, Zeile 13—18.