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logischer Tragweite, der ein tiefstes Geheimnis der Welt in sich birgt,

denn er besagt zuletzt nichts Geringeres als die gleichzeitige Tran-

szendenz und Immanenz Gottes. Und nach seinem Ebenbilde ist auch

die Welt zusammengefügt und zusammengehalten (gleichzeitige

Transzendenz und Immanenz der Idee) nach der Seinsweise: „A l s

R ü c k v e r b i n d e n d e s hat das A u s g l i e d e r n d e zu-

g l e i c h d i e W e i s e d e s I n - s i c h - S e i n s u n d

A u ß e r - s i c h - S e i n s ; a l s R ü c k v e r b u n d e n e s h a t

d a s G l i e d z u g l e i c h d i e W e i s e d e r E i n e r l e i h e i t

m i t s i c h s e l b s t u n d d e r S e l b f r e m d h e i t “ (Bd 9,

214).

Damit macht die Ganzheitslehre — man darf wohl sagen, zum

ersten Mal in der Geschichte der Philosophie — einen Seinsbegriff

einsichtsvoll verständlich, der den großen philosophischen Lehren

seit P l a t o n , der zwischen

ljĮǑljǗnj

(Dasselbigkeit) und

įƾljİǏǎnj

(Anderheit) unterscheidet, insgeheim oder offenbar zugrunde liegt.

Hätte das sich-selbst-gleiche Sein nicht einen „selbfremden“ Kern, so

müßten ihm alle Außendinge absolut fremd sein. Denn die einzelnen

Dinge würden dann in völliger Isoliertheit bestehen, das heißt, sie

würden füreinander nicht vorhanden sein. Nur dadurch, daß sie durch

ihre Selbfremdheit in einer gemeinsamen höheren Ganzheit enthalten

sind, gehören sie überhaupt zusammen. Der reine und absolute

Identitätsbegriff (das nur mit sich selbst Gleiche) ließe den Begriff

des Seins nicht zu Ende denken.

Befassung ist nur möglich, wenn das zu Befassende im Befassenden,

in der Ganzheit eine „Heimstätte“ hat; und diese ist das „ s e l b -

f r e m d e “ Sein. Dabei kommt gerade diese zunächst eben „be-

fremdende“ Bezeichnung unserem kausallogischen, flächenhaften

Denken sehr entgegen, wenn sie die höhere Ebene zunächst als etwas

Fremdes betrachtet. Ganzheitlich gesehen, ist dieses Höhere und

Höchste zugleich das Innere und Innerste. Das ,,A u ß e r - s i c h -

S e i n“ auf der Ebene des selbfremden Seins in der „E k -stase“

wird daher von den Mystikern als ein „I n - s i c h - S e i n“ erlebt:

„Es spricht Boethius: ihr Menschen, warum sucht ihr außer euch, was

in euch ist: die Seligkeit?“

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Meister Eckhart, herausgegeben von Franz Pfeiffer (1857), 4. Aufl., Göttingen 1924,

S. 486, Zeile 11.