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solche wahrnehmen, sondern nur unmittelbar erleben. So wie die
Muskelzelle des Herzens — hätte sie ein Empfindungsorgan — immer
nur andere Zellen, nämlich ihresgleichen erfassen kann, niemals aber
das Herz als Ganzes, so kann der geschöpfliche Geist Gott nicht als
einen Gegenstand erkennen, sondern sich ihm nur in derUnio mystica
einen. Er muß alles Gliedhafte in sich suspendieren und sich in sein
höchstes selbfremdes Sein erheben, um das Göttliche in sich durch
Rückverbundenheit zu erleben. Es bleibt dadurch nichts Gegen-
ständliches mehr zurück, sondern nur das Erlebnis der Aufgehoben-
heit im Höchsten. Und genau das berichten alle Mystiker.
3. Mittewendigkeit und Gezweiung
Schlagwortartig einige kurze Hinweise:
(1) M i t t e h a t A r t .
(2) Mitte und Umkreis stehen im Verhältnis von F ü h r u n g
u n d N a c h f o l g e .
(3) N i c h t s i s t n u r M i t t e , n i c h t s i s t n u r U m -
k r e i s . Daraus und aus dem Eigenleben des Gliedes folgt:
(4) der Grundsatz der möglichsten (aber nicht auf die Spitze ge-
triebenen) D e z e n t r a l i s a t i o n als ein wesentliches prakti-
sches Organisationsprinzip.
Auf der untersten Stufe der geistigen Rückverbundenheit, jener
zwischen den einzelnen Menschen, wird nun erst ganz einsichtig, was
„Ganzheitlichkeit“ gegenüber der herrschenden Vorstellung der so-
genannten Wechselwirkung nach „Kausalität“ bedeutet, deren
Widersinnigkeit schon Fichte klar erkannt hat: „Diese gegenseitige
Erkenntnis und Wechselwirkung freier Wesen ... ist nach Natur
und Denkgesetzen völlig unbegreiflich, und läßt sich erklären ledig-
lich durch das Eine, in dem sie Zusammenhängen, nach dem sie für
sich getrennt sind . . . Nicht unmittelbar von dir zu mir, und von
mir zu dir strömt die Erkenntnis, die wir von einander haben; wir für
uns sind durch eine unübersteigbare Grenzscheidung abgesondert.
Nur durch unsere gemeinschaftliche geistige Quelle wissen wir von
einander, nur in ihr erkennen wir einander, und wirken wir aufein-