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die mich bei Bearbeitung der Gesellschaftslehre wie der Volkswirt-
schaftslehre leiteten, ein einheitliches System stehen müsse, aber
es war mir in seinen inneren Beziehungen noch nicht geklärt. So
kündigte ich tollkühn für das Wintersemester eine ,Kategorienlehre
der Gesellschaftswissenschaften' an. Bei Beginn der Ferien zog ich
mich ganz allein in ein Alpental zurück und in 14 Tagen war das
ganze System bis ins kleinste fertig'.
Ähnlich war es bei der ,Ganzheitlichen Logik' . . . Anläßlich eines
Besuches in Graz sagte mir Spann beim Abschied: ,Nun will ich
mich über die Logik machen'. Zehn Tage später erhielt ich einen
Brief: ,Die Logik ist im Rohbau fertig. Alles machte sich von selbst““
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Äußerlich war Spann von ungeheurer Einfachheit, ja schier über-
trieben sparsam; in nichts anfällig für den Wohlstand, für „Luxuria“,
wie er sagte. Vielleicht war sein einziger Luxus, den aber mehr seine
Frau — allerdings auch seinetwegen — sich gönnte als er selbst, daß
sein Haus ungemein gastfreundlich geführt wurde. Kaum verging
ein Tag ohne Gäste.
Daß er auch n a c h 1 9 4 5 , den späten Jahren seiner „Ver-
bannung“, das Lehramt nicht mehr ausüben durfte, war für ihn —
angesichts seiner tiefen Gemeinschaftstüchtigkeit und als begei-
sterter Lehrer — zweifellos schwer. Am 6. 5. 1946 schreibt er zu-
nächst begeistert an Walter Becher: „Ich bin reaktiviert, werde
aber erst im kommenden Wintersemester lesen können“. Dies wurde
jedoch vorerst hinausgezögert und zuletzt nicht gehalten. Am
10. 6. 1949 heißt es dann wiederum an Becher: „Ich gehe am 1. Ok-
tober automatisch in Ruhestand“. Seelisch belastend wirkte dazu
gewiß auch noch der frühe Tod seines älteren und nach dem Kriege
die jahrelange Verschollenheit des jüngeren Sohnes, der in russi-
sche Haft geraten war.
Im großen und ganzen war aber mit dem Zusammenbruch des
Nationalsozialismus doch eine merkliche Befreiung eingetreten,
die zweifellos auch die wissenschaftliche Arbeit an seinen großen
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Hans Riehl: Vorabdruck aus „Othmar Spann — Sein Leben und Werk“, in: Zeitschrift
für Ganzheitsforschung, Jg 4, Heft 3, Wien 1960, S. 105.