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sich als Ziel aufzustellen, alles zu überwinden, was ihm entgegensteht.
Diese Donars-Tugend, diese unbegrenzte Fähigkeit zu siegen, will uns die
geistige Selbstgeschaffenheit, Selbstgenugsamkeit nicht von der Seite des
Denkers und Künstlers, sondern von der Willens- seite her zeigen. Hier ist
deutlich, wie das Utilitarische, Mechanische, die äußerliche Hilfeleistung
des Zusammenlebens, sich scharf von dem rein innerlichen Leben
scheidet, das wir geistig als Individuum führen. Denn Herakles-Donar
wird hier als ein durch sich Wollender, als ein absolutes Individuum
gefaßt.
C. P r o m e t h e u s
Eine verwandte, dennoch wieder andere Gestalt ist Prometheus. Hier
ist es der Trotz, der auf sich selbst pocht, klassisch bezeichnet durch das
Wort Goethes, der Prometheus sich fragen läßt: „Hast du nicht alles selbst
vollendet, heilig glühend Herz?“ Natürlich hat der Mensch, äußerlich
gesehen, nicht alles selbst gemacht, aber das eigentlich Geistige, diese
Hochburg seiner inneren Welt, wo kein Zeus, kein Gott und keine Macht
seine Burgfreiheit stören kann, ist ein Freies, rein aus sich selbst
Schöpfendes, sich selbst Erschaffendes. — „Und dein nicht zu achten, wie
ich!“ —Wie kühn schleudert Prometheus dem Zeus dieses Wort entgegen!
Er stellt sich wesenhaft auf sich selbst, er ist sein eigener Schöpfer und
Herr.
D. G e n i e u n d E r f i n d e r
Nach dieser Weise denken wir insbesondere auch den eigentlich
schöpferischen Menschen, das Genie: das Genie gilt ja vornehmlich als das
frei sich Erzeugende, es holt sich aus sich selbst heraus. Die titanischen
Gefühle Beethovens, die gewaltigen / Stürme, die in seinen Symphonien
seiner Brust entsteigen, das sind die Zeugen des Genies. So aber ist im
Grunde jeder Mensch beschaffen; jeder muß irgend etwas Geniales in sich
haben, muß etwas von jener hervorbringenden Kraft verspüren und
erweisen, auch wenn sie sich in weit weniger bedeutenden Dingen regt.
Die innerste Wesenheit der Seele ist darnach auf Selbständigkeit, auf jenen
genialen Punkt an-