V i e r t e r A b s c h n i t t
Das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft
Ist die Selbstwüchsigkeit des Einzelnen der erste, so ist die
grundsätzliche Bestimmung seines Verhältnisses zur Gesellschaft der
zweite Brennpunkt jeder Art von individualistischer Gesellschaftstheorie.
Und wie der Begriff des Einzelnen als eines Selbstwüchsigen, wie der der
Gesellschaft als einer Summierung grundsätzlich eindeutig gegeben ist, so
auch das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft. Die Gesellschaft ergab
sich ihrem Wesen nach als eine Summierung und als eine rein nothafte
(utilitarische) Schöpfung; sodann kann auch das Verhältnis des
Individuums zu dieser seiner Schöpfung nur ein rein nothaftes, nützliches
(utilitarisches) sein. E i n e e i g e n e s i t t l i c h e W ü r d e h a t d a s
V e r h ä l t n i s d e s E i n z e l n e n z u r G e s e l l s c h a f t n i c h t ,
irgendeinen über den nützlichen Zweck hinausgehenden Wert kann es
nicht erlangen. Ein solcher könnte nur aus einem Eigenen (Spezifischen)
kommen, das der Gesellschaft an sich innewohnt. Aber dieses kann nicht
bestehen, wenn alle Wirklichkeit im Einzelnen liegt, wenn dieser als
selbstwüchsig betrachtet wird. „Sittlich“ ist nur, was das Sittengesetz
vorschreibt (wenn wir es Kantisch fassen, wie heute üblich) oder
allgemeiner: was das Geistige seinen wesenhaften Bestimmungen nach
fordert. Robinson oder Herakles können aus ihrem eigenen geistigen
Inneren Forderungen an ihr Streben und Leben stellen. Das ist Sittlichkeit.
Aber das Verhältnis zum andern, zur Gesellschaft bleibt dem
Individualismus im ungeistigen, im nothaften Bereiche — hier gibt es nur
Nützlichkeit
(Utilität),
Zweckmäßigkeit,
Nothaftigkeit,
Äußerlich-Werkzeugliches des Lebens — nimmermehr selbständige
Sittlichkeit.
Das grundlegende wichtige, die ganze wissenschaftliche und
gesellschaftliche Entwicklung von der Aufklärung bis heute erklärende
Ergebnis dieser Überlegung ist: Für den I n d i v i d u a l i s m u s g i b t
e s w o h l e i n e I n d i v i d u a l e t h i k (indivi-