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Dilthey hat aber hier leider ein erkenntnistheoretisches Problem ge-
sehen
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, womit es bloß programmatisch wurde und blieb.
Sonach ist die Behandlung des Problems durch Dilthey haupt-
sächlich doch mehr von, wenn auch noch so großem, exemplifikato-
rischem Werte, in ihrem materiellen Inhalte aber, obzwar im einzel-
nen oft sehr bedeutsam, im Ganzen doch unzulänglich.
Weit weniger gut steht es bei den anderen soziologischen Autoren:
A l b e r t S c h ä f f l e , der an materialen Analysen das bedeu-
tendste lieferte, hat die prinzipiellen methodischen Fragen nur dürf-
tig behandelt, und eine eingehende Betrachtung seiner Ansichten
hierüber, die mehr gelegentliche Äußerungen als systematisches
Nachdenken waren, wäre daher wenig lohnend. — Eine größere
prinzipielle Bedeutung hat dagegen die Unterscheidung, die Lo-
r e n z v o n S t e i n nach Staat, Volkswirtschaft und Gesellschaft
hin unternommen hat. Wir haben aber schon gesehen, worin die
Mangelhaftigkeit und Unfruchtbarkeit der Verfolgung dieser Ge-
sichtspunkte beschlossen lag.
In der Nationalökonomie endlich wäre gegenüber früheren, hin-
reichend ausführlichen Abhandlungen der anderen Autoren nur
noch C a r l M e n g e r s hier zu gedenken. Seine generelle Schei-
dung von Sozialphänomenen, die als Resultanten individueller Hand-
lungen entstehen (z. B. das Geld), und solcher, die einem bewußten
Akte des Gemeinwillens entstammen (z. B. positive Gesetzgebung),
hat gleichzeitig eine Bedeutung zur prinzipiellen Verhältnisbestim-
mung der sozialen Phänomene zueinander. Die methodologische
Folgerung hieraus ist, daß jene Klasse von Phänomenen, die reflek-
tiert entstanden sind, p r a g m a t i s c h e r , die andere, die un-
reflektierten Ursprunges ist, gleichmäßig t h e o r e t i s c h e r Be-
handlung zu unterliegen hat. Die pragmatische Interpretation be-
steht in der „Erklärung des Wesens und des Ursprungs der Sozial-
phänomene aus den Absichten, den Meinungen und den verfüg-
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„ . . . wie könnten die Wahrheiten der Wissenschaft der Ästhetik ohne die
Beziehung zu denen der Moral, wie zu denen der Religion entwickelt werden, da
doch der Ursprung der Kunst, die Tatsache des Ideals in diesen Zusammenhang
zurückweist?“ „Nur das Studium der Arbeit des Erkennens . . . kann das Problem
des hier bestehenden Zusammenhanges auflösen.“ (Wilhelm Dilthey: Einführung
in die Geisteswissenschaft, Versuch einer Grundlegung für das Studium der Ge-
sellschaft und Geschichte, Bd 1, Leipzig 1883, S. 58 und 60.)