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konstruiert hat, und womit die Fehlerhaftigkeit der ganzen Schlußreihe offen-
bar wird.
6.
Daß von Avenarius’ Begriff der Gesellschaft (Σ C) die U m g e b u n g —
als Non Σ C — ausgeschieden ist, sei als Beispiel der sonstigen Schärfe seiner
Methode noch angemerkt.
Aus dem Ganzen folgt, daß eine einfache und unmittelbare Übertragung
Avenariusischer Begriffskonstruktionen auf die Sozialwissenschaft, wie sie in
geistvoller Weise F r a n z B l e i versuchte
1
, unfruchtbar bleiben muß und über-
haupt prinzipiell unmöglich ist. Damit soll übrigens eine große generelle metho-
dologische Bedeutung, die Avenarius für die Sozialwissenschaft hat, nicht be-
stritten werden. Aber Avenarius’ Methodologie gibt nur eine Handhabe für die
reine Beschreibung (besonders der sozialen Erhaltungsfunktionen) schlechthin
nicht aber Handhaben zur Ableitung materieller Begriffe, wie Wirtschaft oder
Gesellschaft. —
Schließlich möchte ich noch auf eine vortreffliche, besonders die methodolo-
gische Seite im Auge behaltende Darstellung und Kritik der gesamten Erkennt-
nistheorie Avenarius’ hinweisen: O s k a r
E w a l d , „Richard Avenarius als
Begründer des Empiriokritizismus", Berlin 1905. Ewald sucht auf dem er-
k e n n t n i s t h e o r e t i s c h e n Gebiete nachzuweisen, daß Avenarius den
philosophischen Wahrheitsbegriff und die moralischen Grundkategorien auf
sozialpsychologische Erscheinungen und die Erscheinung der Erhaltung basiert
hat. Dieses Bestreben Avenarius’ sei verfehlt, da das Phänomen des Sozialen keine
unmittelbare erkenntnistheoretische Bedeutung besitzen könne. Erkenntnistheo-
retische und moralische Kategorien seien ihrem Begriffe nach unabhängig davon,
ob es eine menschliche Gesellschaft gibt oder nicht. Mit Recht betont Ewald,
daß das Verhältnis von Soziologie und Erkenntnistheorie gerade das umgekehrte
ist: nicht Wahrheit und Moral sind prinzipiell vom Sozialen abhängig, sondern
die Grundkategorien des Sozialen sind von den reinen logischen und moralischen
Kategorien des I n d i v i d u u m s abhängig. — Unser Ergebnis, daß Avenarius
den Begriff der Gesellschaft in Wahrheit nach der Analogie des individuellen
Systems C gebildet hat, widerspricht diesem Ergebnis Ewalds nicht. Denn Avena-
rius hat schon in den (erkenntnistheoretischen) Begriff des Individuums rein
s o z i a l e Momente, wie Daseinskampf und Erhaltung hineingetragen, und seine
ganze übrige Auffassung ist vorwiegend utilitarischer Natur.
IV. Rückschau zum zweiten Kapitel
Wir haben gesehen, daß alle bisherigen Auseinanderlegungen der
gesellschaftlichen Wirklichkeit in Objektivationssysteme faktisch und
den Prinzipien ihres Aufbaues nach unzulänglich sind. Von einem
1
Franz Blei: Die Metaphysik in der Nationalökonomie, in: Vierteljahres-
schrift für wissenschaftliche Philosophie, herausgegeben von Richard Avenarius,
Jena 1895, S. 378 ff. — Zur Kritik der politischen Ökonomie, Als Einleitung zu
einer Theorie der reinen Wirtschaft, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und
Statistik, 1. Artikel, Jg 35, Jena 1897, S. 801 ff., 2. Artikel, Jg 41, Jena 1903,
S. 577 ff.
10 Wirtschaft und Gesellschaft