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360

Ebenso erscheinen die spezifischen Aufgaben des Staates zuweilen

weiter gefaßt als wir es heute vielleicht für richtig befinden. Wir

sind dafür sehr empfindlich geworden. Jedoch sollte darüber auch

ein eigentümlicher und scheinbar widersprüchlicher Zusammenhang

nicht übersehen werden. Einerseits nämlich führt das individuali-

stische Sozialkonzept notwendig zur Überwältigung der Gesellschaft

durch den Staat, weil die Gesellschaft der ständischen Organe, ihres

Eigenlebens und ihrer Eigenordnung beraubt ist. Das wird auch von

Spann mehrfach hervorgehoben. Andererseits geht mit dem glei-

chen Vorgang der Wucherung des Staates der Vorgang seiner in-

neren Abwertung Hand in Hand. Der Staat muß also sicherlich sein

Maß in den Lebensgesetzen der Gesellschaft finden. Er muß aber

auch und zugleich in der Fülle seiner eigenen Funktionen gestärkt

und gefestigt werden. Der ständische Gedanke kann diesen beiden

Degenerationserscheinungen unserer Zeit, der des Staates und der

der Gesellschaft, entgegengesetzt werden, wenn man ihn nicht, wie

dies oft gerade in der Kritik der Spannschen Gedanken geschehen

ist, sachlich simplifiziert und an einer historischen Gesellschaftsform,

deren soziale Probleme mit den unsern nicht verglichen werden

können, exemplifiziert. Was wir vom Gesichtspunkt unserer Tage

bei Spann allerdings vermissen, ist zuerst eine Herausarbeitung des

Gemeinwohlbegriffes, der vieles zur Klärung des Verhältnisses des

Staates zu den Ständen und ihren Funktionen beigetragen hätte; ist

weiters die rechte Einschätzung der Besonderheit des Wesens und

der Funktion der Familie, von der in „Der wahre Staat“ kaum die

Rede ist, ist schließlich die Behandlung des drängenden Problems

des Ethos der Machtausübung auf der politischen wie der sozialen

und der wirtschaftlichen Ebene. Es läge aber durchaus in der Linie

von Spanns Zeitanalyse, sowohl die gefährliche Illusion der Macht-

losigkeit als des sozialen Ideals des Liberalismus aufzuzeigen als auch

das Ethos der Macht aus den Forderungen des Gemeinwohls, den

Erfordernissen der Sachbereiche und aus den Rechten des Menschen

zu begründen.