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an das Wort „Kapitalismus“, das heute bestenfalls einen historischen
Inhalt, schlimmstenfalls einen ideologischen und daher geschicht-
lich erstarrten, praktisch spaltenden Inhalt hat. Überdies haben die
Methoden politischer Propaganda dazu beigetragen, ehedem klare
Worte für eine echte Diskussion unbrauchbar zu machen. Andere
Worte werden — dabei wirken manche Erfahrungen mit — ge-
danklich mit politischen und weltanschaulichen Systemen assoziiert,
mit denen sie in ihrer reinen und ursprünglichen Bedeutung nichts
zu tun haben. Andere schließlich werden von einem politischen
Tabu überdeckt, das sie geistigen Auseinandersetzungen entzieht.
Von dieser Überlegung her sollen drei Punkte kurz erwogen
werden, um heute naheliegenden Mißverständnissen gegenüber
Spanns „Der wahre Staat“ zu begegnen: (1) die Kritik der Demo-
kratie, (2) der Inhalt des Gedankens einer ständischen Ordnung der
Gesellschaft, (3) die Stellung des Staates im Aufbau des gesellschaft-
lichen Lebens.
(1) Was zunächst die Kritik an der Demokratie betrifft, wird
man nicht übersehen dürfen, daß die — geschichtlich verspätete und
gleichwohl die Erfahrungen gänzlich vernachlässigende — revolu-
tionäre Gründung der Demokratien Mitteleuropas nach dem ersten
Weltkrieg die Kritik an ihren individualistischen Wurzeln und ihrer
anarchischen Zersplitterung höchst aktuell machte. Gehört es doch
auch heute noch zu den weit verbreiteten Kurzschlüssen, zu meinen,
je näher der Anarchie, desto näher der Freiheit, je näher einer Ord-
nung, desto näher dem Totalitarismus. In dieser Hinsicht ist Spanns
Behandlung der Begriffe von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
sowie die Differenzierung ihres Inhaltes nach den gesellschaftswis-
senschaftlichen Grundbefunden bemerkenswert. Keinesfalls aber
kann man Spanns Prinzipien in die Schablone irgendwelcher ober-
flächlichen Alternativen hineinpressen und ihn eines „Totalitaris-
mus“ beschuldigen, weil er an der zeitgenössischen Demokratie Kri-
tik übt und die Gefahren aufzeigt, die aus den Wurzeln geistiger
Verirrungen aufsteigen. Spanns Überlegungen liegen fern von dem
ungeistigen Denken in äußerlichen Pendelschlägen. Sie betonen ein-
deutig den Primat des Geistigen und sehen Ordnung und Freiheit
gesichert durch die führende Rolle des Staates und die Dezentrali-
sierung der Macht. Heute weist man, nach einer Zeit schmerzlichen