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Berufstand aber im echten Sinne ist eine Organisation erst dann,
wenn sie ihre Besonderheit nicht um der Besonderheit willen hat,
wie ich im „Wahren Staate“
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darlegte. Er hat sie nur als besondere
Form von Ganzheit. Dann ist auch die B e r u f s e h r e , dann ist
auch G e m e i n s i n n kein leerer Wahn, sondern Ausdruck und
Träger des Ganzheitsstrebens.
Zu solchem Ende werden allerdings auch große gefügemäßige
Veränderungen des heutigen wirtschaftlichen Verbandswesens nötig
sein. Vor allem muß die rein horizontale Gliederung und muß die
heutige Trennung in Gewerkschaften und Unternehmerverbände
überwunden werden. In letzter Hinsicht ist im Gesamtarbeitsvertrag
bereits ein verheißungsvoller Anfang gegeben. Diese und andere
konkrete Einzelheiten werden übrigens nur die geringste Sorge bil-
den. Einsicht und Wille sind es, worauf es ankommt, der Geist ist es,
der sich seinen Körper baut! Darum ist die Überwindung des ato-
mistisch-individualistischen Grundirrtums und die Erringung einer
klaren ganzheitlichen Einsicht das A und O dieser Frage; und zwar
sowohl im Verhältnis der Organisationen untereinander wie zu
Behörde, Regierung und Staat.
Ist jener organische Geist erst einmal errungen, dann wird die
gesellschaftliche Heilkraft, die in den Wirtschaftskörperschaften liegt,
ihre Wunder weisen und die wirtschaftspolitische Fruchtbarkeit, die
in ihnen verborgen ist, offenbar werden. Dann wird der Weg frei
werden vom Krämerstreben zum allseitigen Erzeugungsstreben,
vom Berufseigennutze zur Berufsgegenseitigkeit, vom Interessenver-
band zum Stand.
Gewiß werden auch dann starke Spannungen und heftige Kämpfe
nicht ausbleiben. Was wäre die Welt ohne Kampf? Aber diese
Kämpfe werden nicht mehr vergiftete, nicht mehr zur Katastrophe
des Bolschewismus hintreibende Kämpfe sein. Diese Kämpfe werden
auf einer anderen Ebene ausgefochten werden, der organischen, sie
werden um andere Fragen und Aufgaben gehen, um solche des
Ganzen.
Vgl. mein Buch: Der wahre Staat (1921), 4. Aufl., Jena 1938 [= Gesamtaus-
gabe, Bd 5].