III.
Die Krise in der Sozialpolitik
und ihre Heilung in der ständischen Wirtschafts Verfassung
Ein Vortrag
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Seit dem Ende des Krieges befindet sich die Sozialpolitik theo-
retisch und praktisch in einer heftigen Erschütterung. Sie wird ange-
zweifelt auf ihre grundsätzliche Möglichkeit und auf ihre praktische
Wirksamkeit hin.
Ehe wir uns auf diese Frage einlassen, wird es gut sein, die Vor-
frage zu beantworten, wie es denn zu den heutigen Zuständen der
Sozialpolitik gekommen sei?
Den Ausgangspunkt der Entwicklung, die zu den heutigen Zu-
ständen führte, bildet die merkantilistische Wirtschaftsumwälzung,
die vor etwa zweihundert Jahren in Mitteleuropa einsetzte. Das
Wesentlichste dabei war, daß der Merkantilismus gewisse Betriebe
aus dem Zunftverband loslöste und ihnen die Form des arbeits-
teiligen Großbetriebes, der „Manufaktur“, gab. Zwei Erscheinungen
sind es, die damit neu auftreten und bis dahin kaum bekannt waren:
der „ewige Arbeiterstand“ und der Ersatz gelernter, zum Teil
künstlerisch ausgebildeter Handwerksarbeit durch ungelernte Arbeit,
durch Frauen- und Kinderarbeit im großen Maßstabe, infolge ar-
beitsteiliger Auseinanderlegung der Verrichtungen sowie, nament-
lich später, infolge der Maschinenanwendung. Schon der Ausdruck
„ewiger Arbeiterstand", der damals aufkam, läßt uns die geistige
Verfassung der Zeit erkennen. Man wundert sich darüber, daß es
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Nach der schnellschriftlichen Aufnahme eines am 11. Juni 1930 vor der deut-
schen Studentenschaft der Universität Wien gehaltenen Vortrages. — Zuerst
erschienen in: Ständisches Leben, Jg 1, Berlin, Wien 1931, S. 2 ff. Hier neu
durchgesehen.