X.
Die Grundentscheidungen in der
Gesellschaftsphilosophie
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Was Gesellschaftsphilosophie sei?, diese Frage ist den meisten
heutigen philosophischen Schulen, die sich in Erkenntnistheorie und
ihren Ableitungen erschöpfen, so gut wie verschlossen. Und doch war
sie eine Grundfrage aller großen philosophischen Lehrgebäude der
Geschichte.
Gesellschaftsphilosophie ist das Urteil, welches eine Philosophie
über das Leben fällt und, da alles Leben Gemeinschaftsleben ist, da-
mit notwendig über Gemeinschaft und Staat. Ein solches Urteil muß
aber notwendig gefällt werden. Denn Sinn und Richtung des Lebens
zu bestimmen, kann keine Philosophie, die Anspruch darauf hat, es
zu sein, unterlassen. Die Gesellschaftsphilosophie ist philosophische
Lebenslehre. Philosophische Lebenslehre war aber sogar der Mate-
rialismus und Empirismus, nicht nur der metaphysische Idealismus.
„Wertfreie Wissenschaft“, „wertfreie Philosophie“ sind Unbegriffe.
Scheiden wir die philosophischen Lehrgebäude nur in den größ-
ten Zügen in idealistische und empiristische (naturalistische), so er-
gibt sich folgendes Bild.
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2uerst erschienen in: Blätter für deutsche Philosophie, Bd 2, Berlin 1929,
S. 221 ff.