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der erkenntnistheoretische Realismus im Gegensatze zum erkennt-
nistheoretischen „Subjektivismus“ usw.)
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Wir haben oben den Individualismus an den Lehren von Comte
verdeutlicht. Wir unterlassen es, die universalistischen Entsprechun-
gen an einem anderen Beispiele, etwa demjenigen P l a t o n s oder
H e g e l s vorzuführen, und begnügen uns, darauf hinzuweisen,
da an dieser Stelle ihre Gedankengänge als bekannt vorausgesetzt
werden dürfen. Wir können daher sofort zu den Folgerungen
übergehen. Entscheidend ist, daß nunmehr nicht der Einzelne
das ursprünglich Wirkliche und damit das in sich selbst Gegründete
(geistig Autarke) ist; daß vielmehr der Einzelne nur g 1 i e d h a f t
auftritt, nur in G e z w e i u n g . Der Begriff der Gezweiung sagt,
daß sich die geistige Wirklichkeit des einzelnen Ich nur in Gegen-
seitigkeit bildet, nur durch Mitdabeisein des anderen Geistes ent-
wickelt werden kann. Damit ist die innere Würde, denkerische und
sittliche Selbständigkeit und Verantwortlichkeit des einzelnen Men-
schen keineswegs angetastet. Es ist nur überall die Möglichkeit des
absoluten inneren Alleinseins, des absoluten prometheischen Indi-
viduums verneint.
Doch können diese schwierigen Gedankengänge hier nicht
weiter verfolgt werden. Der einzige Punkt, der hier entscheidend
ist: das Gegenseitige, Gliedhafte des Einzelnen und damit weiter:
Der Vorrang oder Primat der Ganzheit — denn Gegenseitige oder
Glieder gibt es nur in einem Ganzen — ist wohl hinreichend
klargestellt.
Das Zweite, das hier noch ausdrücklich betont werden muß,
ist: die Erstwesentlichkeit des Überindividuellen (sei es im Sinne
einer platonischen „Ideenwelt“, sei es eines „objektiven Geistes“).
Daher gilt nicht der verfahrenmäßige Hauptsatz alles Subjektivis-
mus: „Der Teil ist vor dem Ganzen“
1
, sondern: „Das Ganze ist
vor dem Teile“ — ein Satz, den Aristoteles formulierte, den die
Scholastik ebenso wie jeder spätere echte Objektivismus, besonders
jener Hegels, weiter verfolgte. Demgemäß ergab sich überall ein
Verfahren, das nicht atomistisch und nicht kausalmechanisch war,
sondern stets die Ganzheit, den Zweck und das Sinnvolle zum
Ausdrucke bringen wollte, wie wir oben schon bemerkten.
1
Siehe oben S. 119 und 129.