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(1)
Der S t a a t ist ein Gebilde des Nutzens, ist etwas bloß
Äußerliches, das die Individuen einrichten (durch den Vertrag, den
sie immer wieder stiften), um die Vorteile der gegenseitigen äußeren
Hilfe im Leben zu haben, vor allem Sicherheit des Lebens und des
Eigentums. Der Staat ist nichts Geistiges, ist nichts Ursprüngliches,
nichts Selbständiges und Schöpferisches, sondern leitet sich ganz und
gar von den Zielen und Handlungen der Einzelnen ab und d i e n t
diesen Einzelnen als äußerliches Werkzeug.
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(2)
Alle anderen gesellschaftlichen Einrichtungen (Organisatio-
nen), z. B. K i r c h e , F a m i l i e , insbesondere aber die W i r t -
s c h a f t sind in gleicher Weise durchaus äußerliche und werkzeug-
liche Gebilde. Die Wirtschaft folge aus dem Eigennutz der Einzelnen.
Ihre Grunderscheinung sei das Zusammentreffen dieser Eigennutze
auf dem Markte (daher die Wirtschaftstheorie zuerst Preistheorie
sei und ihre Erscheinungen kausalmechanische Ergebnisse jenes Zu-
sammentreffens); die Mittel der Wirtschaft seien die s t o f f l i c h e n
G ü t e r . Die Wirtschaft gehorche kausalmechanischen Gesetzen.
Diese Wirtschaftsauffassung begründet die Ansicht: (a) daß die
wirtschaftlichen Handlungen und Ziele der Einzelnen als grundle-
gende erscheinen, insbesondere gegenüber dem Staate, der Kirche
und den anderen mehr geistig anmutenden gesellschaftlichen Gebil-
den; und ( b ) d a ß d a m i t d i e k a u s a l m e c h a n i s c h e n
G e s e t z e d e r m a t e r i e l l e n W i r t s c h a f t s e r
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e
i -
n u n g e n d i e t r a g e n d e n G e s e t z e d e r G e s e l l s c h a f t
u n d d e r g e s c h i c h t l i c h e n E n t w i c k l u n g w e r -
d e n . Diese letztere Auffassung liegt schon bei Adam Smith, David
Ricardo und ihren Nachfolgern mehr oder weniger unklar vor. Sie
gelangt zur vollkommenen klaren Gestalt im „historischen Materia-
lismus“ von Karl Marx; und sie wirkt fort in der heute in Deutsch-
land noch immer vorherrschenden Meinung, die Wirtschaft habe den
Vorrang vor dem Staate.
Man erkennt nach allem Vorgetragenen, daß diese Auffassung
nur möglich ist, wenn man auch den Staat als etwas grundsätzlich
ebenso Äußerliches, Werkzeugliches und Utilitarisches ansieht wie
die Wirtschaft; wenn man den Staat ebenso wie diese von subjek-
tiven Bedürfnissen der Einzelnen ableitet. Dann ist Staat: Sicher-
heitsbedürfnis; Wirtschaft: Unterhaltsbedürfnis, Bedürfnis nach
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