[93]
133
Der Idealismus ist dadurch gekennzeichnet, daß er ein in sich
selbst bestimmtes Objektives, ein Über-Dir, annimmt, z. B. die
Ideenwelt Platons, den „objektiven Geist“ und „absoluten Geist“
Hegels. In der Erkenntnistheorie verleiht dieses gegenständliche
und verbindliche Über-Dir dem Erkennen die Wahrheit; in der
Seinslehre überwindet es den Solipsismus und wird zum ontologi-
schen Objektivismus; da das Über-Dir etwas Verbindliches, Sinn-
volles, Zweckhaftes ist, herrscht die Neigung, keinen Atomismus
anzuerkennen, sondern den objektiven Geist selbst in der Natur
zu suchen (Aristotelische Teleologie, Schellings Naturphilosophie);
in der Psychologie wird die Seele als das Ursprüngliche betrachtet,
die Vorstellungen und anderen, seelischen Einzelerscheinungen als
das Abgeleitete (wofür die Lehre vom Intellectus agens der Aristote-
liker, von der „Selbstsetzung des Geistes“ der deutschen Idealisten
ein Beispiel bietet); in der Sittenlehre wird eine Verbindlichkeit
und ein Inbegriff des Sollens anerkannt, das sich nicht vom Ein-
zelnen ableitet, daher auch nicht aus bloßer Nützlichkeit kommt:
apriorische Ethik, Wertethik, metaphysische Güterethik gegen
Utilitarismus; in der Verfahrenlehre endlich ist damit ein Stand-
punkt gewonnen, der keineswegs die kausal-mechanische Auffassung
billigt, sondern überall ein Sinnvolles, Geistiges, das heißt aber:
Zweckhaftes oder Ganzheitliches als das die Erscheinungen Bestim-
mende betrachtet. Die Verfahrenlehre Platons, Aristoteles’, der mit-
telalterlichen Scholastiker (die neueren sinken schon manchmal zu
Hume herab), Fichtes, Schellings, Hegels sind dafür Beispiele aus
der älteren Zeit, die Vitalisten und die Ganzheitslehre des Ver-
fassers Beispiele aus der gegenwärtigen.
Das Wahrzeichen aller dieser Entsprechungen, die der ideali-
stische Standpunkt in der Beurteilung der verschiedenen Gesell-
schaftsgebiete findet, ist nicht Atomismus und Individualismus, son-
dern: U n i v e r s a l i s m u s u n d O b j e k t i v i s m u s . (Andere
Namen für Universalismus wären: „Transpersonalismus“, „über-
individuelle Auffassung“, „Sozialprinzip“, ungenau, weil mit sozia-
listischen Sonderlehren vermengt, ist der Name „Kollektivismus“,
ebenso „Sozialismus“, der geistesgeschichtlich vom Marxismus be-
stimmt ist; andere Namen für „Objektivismus“ sind: der „Realis-
mus" des Universalienstreites im Gegensatze zum „Nominalismus“;