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idee in den Mittelpunkt der Religion stellte, ein Proletarier, hat

nicht fast seine ganze Gemeinde aus Adeligen bestanden? „Geburt

ist Leiden, Alter ist Leiden, Tod ist Leiden“, allein schon diese

Worte Buddhas hätten Max Weber lehren können, daß der reli-

giöse Erlösungsgedanke mit der „Privilegierung“ und „ökonomi-

schen Lage“ einer Schicht innerlich nichts zu tun, sondern unendlich

tiefere Gründe hat. Die Fragen des Lebens reichen wahrlich über die

Einkommenslehre hinaus — dieser Satz ist es vornehmlich, den man

Max Webers „Religionssoziologie“ als einer u n g e h e u r e n

S a m m l u n g m i ß v e r s t a n d e n e n T a t s a c h e n s t o f f e s

entgegenhalten muß. Ein a-metaphysischer Mensch unterfing sich

darin, das größte metaphysische Gebiet der menschlichen Gesellschaft

und Geschichte zu behandeln.

Von einer „verstehenden Soziologie“ ist da wenig mehr zu fin-

den. Es ist eine seltene Verständnisarmut, die sich hier an ein ihr

unerschwingliches Grundgebiet des sozialen Lebens, die Religiosität,

heranwagt, es ist eine ätzende Sucht, zu zersetzen und zu zerstören,

die sich hier kundtut. Und was / bietet sie selber? — überall nur ein

atheistisches Aufklärertum plattester Art. Da gilt, was Faust zu

Mephisto sagt:

Was willst Du armer Teufel geben?

Ward eines Menschen Geist in seinem hohen Streben

Von Deinesgleichen je gefaßt?

1

Max Weber hat recht, es ist ein „Sein ohne Sollen“, ein Wert-

freies und Wertloses, das er uns hier zum besten gibt. Vor 20 Jahren

noch hätte Max Webers Atheismus, Skeptizismus, Materialismus,

Individualismus, Marxismus und was dieser Art mehr ist, sein

„groß’ Publikum“ gefunden. Heute ist seine Zeit vorbei, heute ist

seine Lehre t o t e W i s s e n s c h a f t , da in den grausigen Wirren

des Lebens der Mensch sich wieder auf seine letzten Grundlagen zu-

rückgeworfen sieht und dem uralten Worte nachsinnen lernt, daß

alles Irdische an den Himmel gebunden sei.

Max Weber war ein dämonisch-ruheloser Mann, der auf andere

persönlich zu wirken vermochte, dem es aber nicht beschieden war,

ein Lebenswerk zu hinterlassen, das dauern könnte.

1

Johann Wolfgang von Goethe: Faust, Erster Teil, Studierzimmer (2).