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Ethik mit ihrer Prädestinationslehre) ist nicht nur paradox und
heißt, aus dem Feuer die Kälte erklären, ist nicht nur geschichtlich
falsch (wie Rachfahl, Brentano, Mayer nachwiesen), sondern sie ist
auch, was viel mehr bedeutet, von zerstörender, von geradezu dä-
monischer Art, indem sie die Religiosität wie in einem Zerrspiegel,
wie in äußerlicher Fratzenhaftigkeit empfinden läßt. Damit kom-
men wir zu dem schlimmsten Teile des Buches, zur Religionssozio-
logie.
D. Die Religionssoziologie im besonderen
Die Religionssoziologie war bekanntlich eines der Hauptarbeits-
gebiete Max Webers. Die Vorzüge seiner Schriften darüber bestehen
in einer ungewöhnlichen Mannigfaltigkeit des geschichtlichen und
gegenwärtigen Tatsachenstoffes. Für ihn gilt aber, was leider auch
für den größten Teil der modernen Religionssoziologie überhaupt
gilt: daß eine unreligiöse Religionssoziologie ihren Gegenstand nicht
fassen kann. Wer nicht nur die besondere Dogmatik einer Religion,
sondern Religiosität überhaupt verneint, der soll und kann nicht
Religionssoziologie treiben. Sollte Webers Lehre wirklich eine „ver-
stehende“ Soziologie sein, so könnte sie dieses nur durch Versen-
kung in das Innere der Religiosität, ihrer Formen und Hilfsmittel
sein. Gerade er aber steht der Religiosität so fremd gegenüber wie
kaum ein anderer. Er sucht nicht das Innere des Religiösen auf, son-
dern haftet absichtlich am Äußerlichen
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und verfehlt dadurch das
Bild der Wahrheit. „Religiös oder / magisch motiviertes Handeln“,
so lesen wir gleich zu Beginn, „ist in seinem urwüchsigen Bestande
d i e s s e i t i g ausgerichtet. ,Auf daß es dir wohlergehe und daß
du lange lebest auf Erden“, sollen die religiös oder magisch gebotenen
Handlungen vollzogen werden.“
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So Max Weber. Religiöses Han-
deln soll also darin bestehen — daß es nicht religiös ist! Ob es schon
jemanden gegeben hat, der aus dem vierten Gebot die Religion be-
gründete, und sie daraus als „diesseitig ausgerichtet“ bestimmte?
„Religiös oder magisch motiviertes Handeln“, so fährt Weber
fort, „ist ferner gerade in seiner urwüchsigen Gestalt ein mindestens
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Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, S. 227.
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Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, S. 227.