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allein, für sich selbst zugrunde, sondern werden d u r c h j e n e

N e u g r ü n d u n g e n a u f g e n o m m e n , w e l c h e d a s U n -

t e r g e h e n d e ü b e r f o r m e n u n d d u r c h d r i n g e n . Solche

Kulturübernahmen und Kulturfortsetzungen brauchen geschichtlich

nicht immer von neuen Völkern auszugehen (wie es im Falle Rö-

mer—Germanen geschehen war). Jedoch werden dabei immer Kul-

turdurchdringungen, und wären es nur versteckte, vor sich gehen.

(Diese kurzen Andeutungen, die sich auf das Formelle der Neugrün-

dungen beschränken, mögen hier genügen.)

Die Begriffe der Vollkommenheit und Unvollkommenheit, die

man gewöhnlich als rein subjektive auffaßt, lassen sich innerhalb

gewisser Grenzen durch gegenständliche Merkmale bestimmen

1

.

G r u n d s ä t z l i c h w i r d j e n e E n t f a l t u n g f e h l e r -

h a f t s e i n , d i e ü b e r i h r e G r ü n d u n g s u n t e

r

1

a

g

e

h i n a u s g e h t (oder hinter ihr zurückbleibt). Jedoch kann ein

solches Darüberhinausgehen (und Zurückbleiben) unter gewissen

Umständen dennoch richtig sein, dann nämlich, wenn eine Umglie-

derung der höheren Gesamtganzheit jene Grundlage selbst erweitert

(oder verengt). Zum Beispiel kann eine andere Lebens-, Religions-,

Staats- und Wirtschaftsordnung auch den Rahmen der Familienent-

faltung ändern (Christentum hebt Polygamie auf). Von Um- / glie-

derungen in der Gesamtganzheit der Kultur müssen auch Umglie-

derungen in den engeren Ganzheiten und Lebenskreisen ausgehen,

Umgliederungen, die auf ihrer eigenen schmalen Ausgliederungs-

grundlage nicht richtig gewesen wären. Als Hintergrund jeder Ent-

faltung in der Geschichte hat daher stets die jeweils größere Ganz-

heit und schließlich die Gesamtganzheit des Kulturlebens zu gelten.

— Das Schöpferische jeder Entfaltung, welche die erste Gründungs-

tat in ihrer Weise jeweils wiederholen muß, zeigt sich an allen eben

erörterten Fragen.

Dies vorausgesetzt gilt aber, daß jede Entfaltung, die ihren

Gründungsrahmen überschreitet, eine Fehlentfaltung wird (Beispiel:

der ständische Staat, der sich zu Zentralismus und Omnipotenz ent-

wickelt, die Kirche, die sich verweltlicht). — Dem entspricht auch

in der Biologie die bekannte Erfahrung daß Variierung und Miß-

1

Vgl. mein Buch: Kategorienlehre, 1. Aufl., Jena 1924, S. 99 ff. [3. Aufl., Graz

1969, S. 101 ff.].