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des „kleinen Moritz“ — die modernen Kunststile, die mit Recht
jenem des Irrenhauses (wie strenge, unvoreingenommene Untersu-
chungen erwiesen
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) an die Seite zu stellen sind.
Wir wollen diese Gedankengänge hier nicht weiter verfolgen,
doch weisen sie schon auf die geistige Gefahr hin, in die sich unsere
gesamte heutige Kultur durch die vielen Brüche begeben hat, welche
seit 1789 unaufhörlich auf allen Gebieten des Lebens in Europa
stattfanden. Nur für das staatliche Leben möge noch eine Übersicht
der Gründungen und Entfaltungen folgen, welche / die europäische
Geschichte in großen Zügen zeigt und auf ihren Gang neues Licht
wirft
2
.
(1)
Gründung: Karolingischer Lehensstaat (wesentlich beruhend
auf der Ablösung der Heerbannpflicht des Bauern durch den Adel).
(2) Wesensgemäße Entfaltung: a) Auf alter Grundlage (in der
Kunst: romanischer Stil); b) Ritterzeit (in der Kunst: gotischer Stil).
(3)
Fehlentfaltung: Vom Lehensstaate zum Feudalstaate und zu-
gleich zum absolutistischen Staate (gekennzeichnet durch Wegfallen
der wichtigsten Führerleistung, der Heerbannpflicht des Adels, die
durch stehende Heere übernommen wurde, bei gleichzeitiger Stei-
gerung der feudalen Vorrechte; ferner durch absolutistischen Zen-
tralismus). — Gegenentfaltungen waren durch solchen Verfall nötig
geworden. Es erfolgten aber
(4)
Fehlneugründungen: Revolutionen von 1789—1848 (teils
heilend, noch mehr aber fehlgründend). Seither: Weiterentfaltung
der Fehlgründungen bis heute, wo überall chaotische Zustände dro-
hen. Daher die Notwendigkeit von Neugründungen. Schon erfolgt
ist:
(5)
eine Neugründung durch den Kommunismus (die wir als
kulturvernichtende Fehlneugründung betrachten). — Als weitere
mögliche Neugründungen ergeben sich:
(5 a) zäsaristischer Zentralismus (Fehlneugründung) oder
(5b) Neugründung durch die ständische Ordnung, die unter
Wiederbelebung des metaphysisch-religiösen Lebens zu den alten
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Hans Prinzhorn: Bildnerei der Geisteskranken, Berlin 1922.
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Es handelt sich hier selbstverständlich nur um B e i s p i e l e . Wer mit ihnen
inhaltlich nicht einverstanden ist, verwirft damit noch nicht das Verfahren, das
sie veranschaulichen.