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Die Probe darauf ist die höchste Frage der Geschichtsphilosophie:
die Frage nach dem Gange der Geschichte als Gesamtganzes genom-
men. Sie kann durch die / Begriffe des Fortschrittes und des wachs-
tümlichen Lebensablaufes niemals beantwortet werden. Denn beide
Begriffe machen die Geschichte sinnlos. Gibt es aber Geschichte,
dann kann sie auch nicht völlig sinnlos sein. Wer ihre Sinnlosigkeit
behaupten will, muß auch leugnen, daß es Geschichte überhaupt
gibt, wie das Schopenhauer tat.
Nur als Gründung und Entfaltung kann der Gang der Geschichte
begriffen werden. Für alle Stürze und Erhebungen, alle Wechselfälle
bleibt hier unendlicher Spielraum. Für kurze und für lange Zeit-
räume, sechstausend Jahre ebenso wie sechstausend Millionen Jahre,
aber allerdings nicht für die unendliche Zeit, denn sie wäre wieder
Zeitlosigkeit. Was Gestalt hat, muß Grenzen, muß auch in der Zeit
Anfang und Ende haben.
„Gründung und Entfaltung“ sind Begriffe schöpferischer Tätig-
keit. Mit ihnen endet die Kategorienlehre der Geschichte, aber der
Begriff des Schöpferischen macht den Weg zum Metaphysischen frei
und noch mehr, er deutet auch auf ihn hin. Auf die S c h ö p -
f u n g s l e h r e wird damit die Geschichtsphilosophie verwiesen.
Nur Schöpfung kann Anfang und Ende erhellen, kann auch die Tra-
gik des Unvollkommenen und des Bruches erklären und allein alles
Naturalistische überwinden. Nur im Schöpfungsgedanken kann sich
der tiefste Grund der Geschichte enthüllen: Die Macht der Rück-
verbundenheit in Gott.
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