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Die Beiträge VI und VII gelten der inneren Wirtschaftspolitik
und ergänzen sich insofern, als sie einerseits die Inflation, anderer-
seits die Deflation behandeln. Der Beitrag über das Wesen der Papier-
geldvermehrung erschien erstmals im Jahre 1920, also zu einer Zeit,
in der die Inflation in Deutschland und Österreich in wachsendem
Ausmaß fortschritt. Entgegen der primitiven quantitätstheoreti-
schen Ansicht, daß eine Geldvermehrung eine Preissteigerung in
ungefähr gleichem Verhältnis zur Folge hätte, wenn die übrigen
Umstände gleichblieben, kommt Othmar Spann zur Erkenntnis,
daß die Geldvermehrung nicht als solche, sondern durch die Ver-
änderungen der realen Wirtschaft wirkt und es demgemäß auf die
Verwendung oder die „Ausströmungswege“ des Geldes ankommt.
Dies wurde von mehreren Schülern Spanns und ihm nahestehenden
Autoren weiter ausgeführt.
Die Theorie der Ausströmungswege ist von — in strengstem
Sinne — grundlegender Bedeutung. Denn sie durchbricht nicht nur
die Geldwertlehre des Metallismus, sondern auch das Gestrüpp der
quantitätstheoretischen Modellkonstruktionen. Es ist daher be-
fremdlich, daß angesehene Geldtheoretiker über diesen Durchbruch
hinweggehen
1
. Für eine mechanistische oder individualistische Denk-
weise bleiben die nach der ganzheitlichen Theorie gewonnenen Er-
kenntnisse anscheinend unerreichbar.
In dem Beitrag „Wirtschaftlicher Selbstmord durch falsche Lehr-
meinungen“ aus dem Jahre 1931, das durch den katastrophalen
Ausbruch der Weltwirtschaftskrise gekennzeichnet ist, hat Othmar
Spann die Notwendigkeit der Geldausgabe zur Wiederingangsetzung
der Wirtschaft fünf Jahre vor dem Erscheinen der „Allgemeinen
Theorie“ von John Maynard Keynes
2
festgestellt, aber auch gleich-
zeitig gezeigt, daß globale Maßnahmen eine Krise nicht beheben
können, vielmehr eine nach den Ausströmungswegen gezielte Geld-
ausgabe erforderlich ist.
In demselben Artikel findet sich auch ein wichtiger Hinweis
zum Autarkie-Problem: erfolgreiche Wirtschaftspolitik ist nur in
1
So darf z. B. der Titel „Geldtheorie“ im:
Handwörterbuch
der
Sozialwissen-
schaften, Bd 4, Stuttgart, Tübingen,
2
John Maynard Keynes: The General
Theorie of Employment, Interest and