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Meisters folgten, aber dadurch die seinerzeitige Kritik Othmar

Spanns rechtfertigten

1

.

Wie nicht anders zu erwarten, bildete die Frage der Werturteile

ein verschiedentlich behandeltes Thema. Zum Beispiel vertrat Ernst

Topitsch in dem Eröffnungsvortrag des Soziologentages die An-

sicht, daß die Unterscheidung zwischen Tatsachenaussagen und

Werturteilen einer sehr späten Entwicklungsphase des philosophi-

schen Denkens angehört, und erklärt, daß die „vom Standpunkt

des reinen Erkennens so fragwürdige Verbundenheit“ mehrerer

Funktionen der menschlichen Weltorientierung „besonders bei den

höheren Tieren deutlich ausgeprägt“ ist: Orientierung und Ver-

haltenssteuerung durch ererbte selektive Auslösemechanismen ver-

einigen sich mit einer entsprechenden Gefühlsaufwallung, die

„Steuermechanismen“ informieren über lebensbedeutsame Umwelt-

daten, bewirken ein angemessenes Verhalten und produzieren gleich-

zeitig eine damit verbundene emotionale Erregung. Eine solche

Orientierung sei auch im sozialen Leben sehr ausgeprägt und die

„stammesgeschichtliche Kontinuität zum Menschen“ besonders of-

fenkundig, bei dem allerdings die Instinkte zu einem beträchtlichen

Teil durch Traditionen und Institutionen ergänzt bzw. ersetzt

werden.

Diese gesellschaftliche Verhaltenssteuerung sieht Topitsch als

eine Grundlage des Denkens von Naturvölkern, archaischer Kul-

turen und theologisch-metaphysischer Spekulationen an, welche den

Kosmos als eine ethisch sinnvolle Ordnung begreifen wollten

2

. Die

Soziologie distanziere sich von der wertenden Sozialmetaphysik,

da das rationale Erkennen und der Kosmos der Naturkausalität in

unvereinbarem Gegensatz zu der Vorstellung eines wertrationellen

Kosmos stünde.

Dies hindert Ernst Topitsch jedoch nicht, den soziologischen

Aussagen eine Eigendynamik und einen Einfluß auf die gesellschaft-

1

Deutsche Gesellschaft für Soziologie: Max Weber und die Soziologie heute,

Verhandlungen des 15. deutschen Soziologentages, Tübingen 1965; ferner: Köl-

ner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg 15, Köln 1963, Sonder-

heft 7; Reinhard Bendix: Max Weber — Darstellung, Analyse, Ergebnisse,

deutsche Ausgabe München 1964 (Originalausgabe: Max Weber, An Intellec-

tual Portrait, New York 1960).

2

Max Weber und die Soziologie heute, S. 32 f.

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