8
immer ein einheitliches Volk: Norweger und Dänen haben zwar die
gleiche Schriftsprache, stehen einander aber als zwei fremde Volk-
heiten gegenüber. Zwei sich ergänzende Beweise also, daß nicht die
Sprache das Wesen des Volkstumes schlechthin ausmacht. Ferner:
Hatten nicht die germanisierten Tschechen im alten Österreich, die
nur deutsch, und nicht mehr tschechisch verstanden, eine Zeitung in
deutscher Sprache, die „Union“, die genau so auf die Deutschen
schimpfte wie irgendein anderes tschechisches Blatt? Hier war nur die
Zunge deutsch geworden, das Herz aber tschechisch geblieben
1
. Oder
denken Sie an die unter uns lebenden Zionisten: Streben die nicht
sogar die Begründung einer Nationalität an, deren Sprache sie über-
haupt nicht verstehen? Sie streben ein Volkstum an und haben keine
Sprache dafür. Ja selbst das Hebräische ist nur die Religionssprache
der Juden gewesen, indessen das Aramäische ihre eigentliche Um-
gangssprache, ihre Volkssprache war. Die Zionisten, die heute in
Jerusalem aus allen Ländern zusammenströmen, müssen also erst
eine Buchsprache erlernen, um ihre Volkheit zu begründen. Das alles
zeigt, wie die Sprache nicht schon von sich aus der Inbegriff des
Volkstums selber ist, trotz aller praktisch unendlich großen Wichtig-
keit, trotzdem sogar, daß sie den Niederschlag des Volksgeistes bil-
det. Sie ist eben doch nicht das hervorbringende Wesen im Volks-
geiste und daher, wenn für sich allein betrachtet, zuletzt nur das Ge-
fäß, das ihn aufnimmt.
Staat: der Geograph Kirchhoff erklärte, Volkheit sei Staat; die
Deutschen seien erst seit 1870 eine Nation. Wirklich gibt es Tatsachen,
welche diese Auffassung (den sogenannten Begriff der „Staatsnation“)
zu rechtfertigen scheinen. So hat die staatliche Trennung dazu ge-
führt, aus dem Körper des deutschen Volkes ein ganzes Stück los-
zureißen: Holland, das bis zur Reformation ein Teil des deutschen
Reiches gewesen ist. Hier hat sich also durch eigenes staatliches Leben
ein eigenes Volkstum gebildet. Andererseits kann gerade uns ehe-
malige Österreicher, die wir auf dem klassischen Boden der „Natio-
nalitätenkämpfe“ wohnen, diese Anschauung unmöglich überzeugen.
Es lebten in dem einen Staat Altösterreich doch gar viele sich ewig
1
Heute sehen wir ein entsprechendes Schauspiel, indem durch die deutsch-
geschriebenen Zeitungen „Prager Presse“ und „Troppauer Morgenzeitung“, die
beide im tschechischen Sinne geleitet und von der Prager Regierung ausgehalten
werden, Deutsche zu tschechischer Gesinnung erzogen werden sollen.