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Welche Bestandteile sind es aber, die „Kultur“ im Sinne des Volks-
tums darstellen? Das ist nun die letzte, entscheidende Frage. Es sind
folgende Gebiete des geistigen Lebens: Sittlichkeit, Religion und
Weltanschauung (Philosophie), Wissenschaft und Kunst. Diese allein
(die außerdem auf den Grundzügen einer bestimmten Sinnlichkeit
ruhen) bestimmen in ihrer Eigenart die Volksgemeinschaft, sie allein
bestimmen den Kern, das Wesen und den Wert jener g e i s t i g e n
Gemeinschaft, die das „Volkstum“ ist. Da also „Volkstum“ seinem
Wesen nach ganz allein eine g e i s t i g e Gemeinschaft ist, so bilden
die genannten Gebiete des geistigen Lebens auch allein ihren wesen-
haften Inhalt. Alles andere gehört nicht wesenhaft zur geistigen
Kultur, daher auch nicht wesenhaft zum Volkstum. Insbesondere
gehören nicht wesenhaft dazu die äußeren, die technischen Mittel
des Lebens entsprechend der jeweiligen Zivilisationsform (ob man
mit der Eisenbahn oder der Postkutsche fährt, ob man mit Ma-
schinen oder Handwerkszeug arbeitet). Wir sind daher mit unseren
Vorfahren im Mittelalter, welche den Parzifal gedichtet und gesun-
gen haben, weit inniger verwandt als mit denen, die heute zwar
mit uns in derselben Eisenbahn fahren und neben uns leben, aber
eine andere, volksfremde Geistes- und Gemütsart haben. Jene ge-
nannten Kulturinhalte sind lebenswesentlich, sie tragen, bilden, be-
stimmen das ganze Leben, sie geben dem Leben erst das Gepräge,
seine eigentümliche Natur, und sie bestimmen daher jene geistige
Gesamtverbindung und Gesamthaltung, welche das „Volkstum“
ausmacht. Einzig und allein das Geistige, einzig und allein die
i n n e r e Wesenheit jener Inhalte ergibt dieses Gepräge, nicht
irgendeine äußere Form des Lebens. Die äußere Form liegt z. B.
darin, ob die Eisenbahn schon erfunden ist oder nicht, ob sie in
meinem Bezirk bereits fährt oder nicht. Das innere Gepräge besteht
darin, w i e ich mit der Postkutsche, wie mit der Eisenbahn lebe.
Die A r t , w i e w i r u n s v e r h a l t e n (sittlich, künstlerisch,
denkend, sinnlich), das g i b t u n s d e n i n n e r e n , v ö l -
k i s c h e n C h a r a k t e r .
Daher können wir Völker von ähnlicher äußerer Zivilisation und
Lebensart nebeneinanderstellen und beobachten an ihnen dennoch
die verschiedensten geistigen Eigenschaften. Denken Sie z. B. an die
Karthager und vergleichen Sie diese mit den Engländern. Beide sind
Handelsvölker. Aber beide betreiben den Handel in ganz verschie-