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nismus, in welchem nur die Erzeugungsmittel gemeinsam sein wer-
den, der Verbrauch aber individuell („Synthese“).
Uber den klassenlosen Urzustand sagt Engels: „Es herrscht eine
gewisse Gleichheit der gesellschaftlichen Stellung — wenigstens eine
A b w e s e n h e i t v o n G e s e l l s c h a f t s k l a s s e n , die noch
in den naturwüchsigen, ackerbautreibenden Gemeinwesen der spä-
teren Kulturvölker fortdauert.“
1
Über die Entstehung der Klassengegensätze aus dem Urzustande
ließ sich Engels folgendermaßen vernehmen:
„Je weniger die Arbeit noch entwickelt ist, je beschränkter die Menge ihrer
Erzeugnisse, also auch der Reichtum der Gesellschaft, desto überwiegender erscheint
die Gesellschaftsordnung beherrscht durch Geschlechtsbande. Unter dieser,
auf Geschlechtsbande begründeten Gliederung der Gesellschaft entwickelt sich
indes die Produktivität der Arbeit mehr und mehr; mit ihr Privateigentum
und Austausch, Unterschiede des Reichtums, Verwertbarkeit fremder Arbeits-
kraft und damit die G r u n d l a g e
v o n
K l a s s e n g e g e n s ä t z e n . . .
Die alte auf Geschlechtsverbänden beruhende Gesellschaft wird gesprengt im
Zusammenstoß der neu entwickelten gesellschaftlichen K l a s s e n ; an ihre Stelle
tritt eine neue Gesellschaft, zusammengefaßt im Staate, dessen Untereinheiten
nicht mehr Geschlechtsverbände, sondern Ortsverbände sind, eine Gesellschaft,
in der die Familienordnung ganz von der Eigentumsordnung beherrscht wird,
und in der sich nun jene K l a s s e n g e g e n s ä t z e u n d K l a s s e n k ä m p f e
frei entfalten, aus denen der Inhalt aller bisherigen geschriebenen Geschichte be-
steht.“
2
Diese Stelle, die zugleich die Entstehung des Staates (!) erklären
und seine Natur als Unterwerfungsanstalt der schwächeren Klassen
(!) beweisen will, zeigt so recht die primitive Art der marxistisch-
individualistischen Einstellung, von der auch soviel in unsere wissen-
schaftliche Geschichtsschreibung (soviel Materialismus, soviel Indi-
vidualismus, soviel Glaube an wirtschaftlichen Mechanismus!) ein-
gedrungen ist.
Geschichtliche Darstellungen der Klassenbildung und Klassen-
kämpfe wurden seither von marxistischer und bürgerlich-indivi-
dualistischer Seite viele versucht. Vom Christentum bis zur fran-
zösischen Revolution sollen, wie oben erwähnt
3
, alle großen gei-
stigen Bewegungen aus Wirtschafts- und Klassengegensätzen ableit-
bar sein. Über die Verfasser (unter den bürgerlichen sei besonders
1
Friedrich Engels: Herrn Eugen Dühring’s Umwälzung der Wissenschaft,
Leipzig 1877, S. 187 (Sperrung von mir).
2
Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des
Staates, Vorwort zur 1. Aufl., Zürich 1884, jetzt 20. Aufl., Stuttgart 1921.
3
Siehe oben S. 69.