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vereinigt sich die geschichtliche, soziologische und theoretische Strö-
mung unserer Wissenschaft, er ist entschiedener Individualist, dabei
doch Sozialpolitiker und den Sozialisten freund. Seine Auffassung
ist daher für die ganze heutige Wissenschaft typisch: „Klasse“ statt
Stand; die Klasse als eine im Grunde wirtschaftliche Erscheinung,
die individualistischen Voraussetzungen, der bloße Summierungs-
charakter, der rein äußerliche wirtschaftliche Summierungsgrund. —
Und was für ein anderes Ideal soll aus einer solchen Betrachtungs-
weise folgen als die klassenlose Gesellschaft?
„ , K l a s s e n l a g e ‘ soll die typische Chance 1. der Güterversorgung, 2.
der äußeren Lebensstellung, 3. des inneren Lebensschicksals heißen, welche aus
Maß und Art der Verfügungsgewalt (oder des Fehlens solcher) über Güter oder
Leistungsqualifikationen und aus der gegebenen Art ihrer Verwertbarkeit für
die Erzielung von Einkommen oder Einkünften innerhalb einer gegebenen Wirt-
schaftsordnung folgt.
. K l a s s e ' soll jede in einer gleichen Klassenlage befindliche Gruppe von
Menschen heißen.
a.
B e s i t z k l a s s e soll eine Klasse insoweit heißen, als Besitzunterschiede
die Klassenlage primär bestimmen.
b.
E r w e r b s k l a s s e soll eine Klasse insoweit heißen, als die Chancen der
Marktverwertung von Gütern oder Leistungen die Klassenlage primär bestimmen.
c.
S o z i a l e K l a s s e soll die Gesamtheit derjenigen Klassenlagen heißen,
z w i s c h e n denen ein W e c h s e l
a. persönlich, ß. in der Generationenfolge leicht möglich ist und typisch
stattzufinden pflegt.
Auf dem Boden aller drei Klassenkategorien können Vergesellschaftungen der
Klasseninteressenten (Klassenverbände) entstehen. Aber dies muß nicht der Fall
sein: Klassenlage und Klasse bezeichnet an sich nur Tatbestände g l e i c h e r
(oder ähnlicher) typischer Interessenlagen, in denen der einzelne sich ebenso wie
zahlreiche andere befindet. Prinzipiell konstituiert die Verfügungsgewalt über
jede Art von Genußgütern, Beschaffungsmitteln, Vermögen, Erwerbsmitteln,
Leistungsqualifikation je eine besondere Klassenlage ..
III. Zur Geschichte der Klassen
Das Schema, das die materialistische Geschichtsauffassung für die
Geschichte der Menschheit entwarf, war dieses: klassenloser Ur-
kommunismus, der in der Gemeinsamkeit der Erzeugung nicht nur,
sondern auch des Verbrauches bestand (nach dialektischer Methode:
„These“); Entstehung der Klassen, alle Geschichte als Geschichte
von Klassenkämpfen („Antithese“); klassenloser Zukunftskommu-
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Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Teil 1, Tübingen 1921, S. 177.