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Klasse der Nichtbesitzenden diejenige, der die k a p i t a l l o s e A r b e i t zu-

gehört. Fassen wir diesen Zustand fest ins Auge. Er ist es, der jeder sozialen

Bewegung voraufgeht; er ist es, der unsere ganze Gegenwart beherrscht. Er

ist es, in dem die Wahrheit und der Widerspruch und in dem endlich die große

Frage derselben zur Erscheinung kommt.“

1

Für Stein ist also die Klasse eine wirtschaftliche, das Verhältnis der Klasse

das des wirtschaftlichen Gegensatzes und Kampfes. Er erkennt eine selbständige

Leistung des „Besitzes“ (Kapitals) nicht an — genau die Marxischen Sätze, genau

die Vordersätze für Mehrwert und klassenlosen Kommunismus!

Die Ansichten von M a r x u n d E n g e l s , die in wesentlichen Punkten

denen Steins folgen, sind schon oben

2

kurz dargestellt worden. Bei Marx ist es

die Produktions- und Aneignungsweise, bei Stein der Besitz, welcher den Grund

der Klassenbildung abgibt. (Auf die wechselnden Fassungen der Lehre bei Marx

und Engels sowie auf die kunstvollen Auslegungen der Neumarxisten — Max

Adler, Heinrich Cunow und andere — kann hier nicht eingegangen werden.)

In individualistischer Richtung bewegt sich auch die sogenannte Gesellschafts-

lehre von R o b e r t v o n M o h l (Lehre von der „bürgerlichen Gesellschaft“

im Gegensatz zum Staate). Obwohl das wirtschaftliche Element bei ihm viel

mehr als bei Stein zurücktritt, ist es doch ein ursprüngliches

3

.

Von den neueren Soziologen hat S c h ä f f l e , Comte und Spen-

cern nachfolgend, eine durchaus atomistische Stellung eingenom-

men und demgemäß die Klassen erklärt. „ . . . vergessen wir nicht,

daß sie [die Einzelperson] das A und O der Gesellschaft ist.“

4

„Zur

Person gehört der Besitz“ (137), welcher die Grundlage ihres Schaf-

fens und Brauchens bildet (138), daher auch (allerdings neben

Sprache, Macht und Recht) die Grundlage ihrer Verknüpfung oder

Klassenbildung

5

.

T ö n n i e s faßt, kraft seiner naturrechtlich-marxistischen Ein-

stellung, den Begriff der Klasse ganz marxistisch, und vermag sie

durch die Unterscheidung mehr organischer, gewachsener Gebilde,

die er „Gemeinschaften“ nennt (z. B. Familie), von den mechanisch-

1

Lorenz von Stein: Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, Bd 1,

München 1921, S. 106; vgl. auch den Begriff des Proletariats, S. 125 f.

2

Siehe oben S. 71 und 73.

3

Robert von Mohl: Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften,

Erlangen 1855, S. LXVII ff.; Enzyklopädie der Staatswissenschaften, 2. Aufl.,

Tübingen 1872, S. 28 ff. — Ähnlich, aber noch unbestimmter Johann Kaspar

Bluntschli: Politik als Wissenschaft, 3. Aufl., Stuttgart 1876, S. 451 ff.; Johann

Kaspar Bluntschli, Karl Brater: Artikel Kasten, Stände, Klassen, in: Deutsches

Staats-Wörterbuch, Bd 5, Stuttgart 1860.

4

Albert Schäffle: Abriß der Soziologie, herausgegeben von Karl Bücher, Tü-

bingen 1906, S. 137.

5

Albert Schäffle: Abriß der Soziologie, herausgegeben von Karl Bücher, Tü-

bingen 1906, S. 20 f. und 199 ff.; vgl. auch: Bau und Leben des sozialen Körpers

(1875), Bd 1, 2. Aufl., Stuttgart 1896.