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und Tuns durch. Sie brachte einen wahren Frühling in allen Gei-
steswissenschaften hervor. Dies geschah namentlich in der Form der
verschiedenen „geschichtlichen Schulen“, die nun überall dem auf-
klärerischen Rationalismus entgegentraten
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. F r i e d r i c h K a r l
v o n S a v i g n y , A d a m M ü l l e r , J o s e p h v o n G ö r r e s ,
d i e B r ü d e r G r i m m , d i e B r ü d e r S c h l e g e l , d i e
B r ü -
d e r H u m b o l d t , L e o p o l d v o n R a n k e , G e o r g
F r i e d r i c h C r e u z e r , J o h a n n J a k o b B a c h o f e n ,
C a r l J o s e p h W i n d i s c h m a n n , A u g u s t B ö c k h ,
C a r l G u s t a v C a r u s und viele andere glänzende Namen be-
zeichnen diesen ruhmvollen Siegeszug deutschen Geistes, der in allen
Kulturländern seinen Abglanz hervorbrachte.
Nun brach eine neue materialistisch-individualistische Welle
herein. Daß die deutsche Philosophie und Romantik durch den
Empirismus und Materialismus, die geschichtlich-romantischen
Schulen der Geisteswissenschaften durch das naturwissenschaftliche
Verfahren und den Positivismus verdrängt wurden — dieser furcht-
bare Verfallsvorgang in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts be-
wirkte es, daß in allen Staats- und Sozialwissenschaften, insbeson-
dere in der Soziologie, der Universalismus zurücktrat, dagegen In-
dividualismus, Subjektivismus, Naturalismus zur Herrschaft kamen.
— Das heutige Geschlecht unserer Volkswirtschaftslehrer und So-
ziologen stammt noch größtenteils aus jener Verfallszeit, und da-
durch erklärt sich die seltsame Tatsache, daß es sich seines Indivi-
dualismus nicht einmal bewußt ist (so selbstverständlich ist er ihm!),
ja daß es den Gegensatz von Individualismus und Universalismus
leugnet, trotzdem die ganze Geistesgeschichte von ihm als einem
Grund- und Hauptgegensatze zeugt.
Aber bereits wendet sich die Zeit! Die individualistischen Schulen
der Soziologie, die zuletzt im Psychologismus und Ethnologismus
versandeten, die geschichtliche Schule der Volkswirtschaftslehre, die
zuletzt in Positivismus und Theorielosigkeit verfiel, der Neuricar-
doanismus, sei es in Form der Grenznutzenschule, sei es in anderen
Formen, der sich einesteils im Psychologischen, andernteils im Ma-
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Die geschichtlichen Schulen der Romantik sind mit denen der siebziger Jahre
nicht zu verwechseln, da jene nicht, wie diese, dem Positivismus und naturwis-
senschaftlicher „Induktion“ verfallen waren.
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