190
Eigennutz nicht wirksam sei, „bureaukratisch“ gearbeitet werde. Dieser Einwand
ist aber verfehlt. Wo bureaukratisch und unsachlich gearbeitet wird, dort eben
vermochte die Ganzheit zu wenig Eingliederungskräfte zu wecken, dort ist zu
wenig Liebe zur Sache, Pflichtgefühl usw. am Werke! — dort herrscht gerade
Eigensucht und bewirkt Faulheit, Formalismus oder gar Bestechlichkeit. Ernster
wäre dagegen der Hinweis, daß in der sogenannten freien Verkehrswirtschaft
technische Fortschritte und dergleichen schneller erfolgen als in der körperschaft-
lich gebundenen Wirtschaft. Diese Tatsache ist nicht zu leugnen. Hier liegt aber
der wesentlichste Umstand darin, daß in der unorganisierten Wirtschaft die Aus-
wirkungen solcher Fortschritte auf die anderen Betriebe — z. B. deren Stillegung
oder Wertverminderung oder sonstige Schädigung — ungehemmt vor sich gehen
können, während in der organisierten Wirtschaft solche Auswirkungen überblickt
und in ihrem Schaden für die Stetigkeit der Erzeugung und des Wirtschafts-
ganges erkannt werden. Man hat die Kapitalzerstörungen und Krisen, die solchen
gewaltsamen Einzelfortschritten entsprechen, oft übersehen. Sobald aber diese Um-
bildungen soweit gehen, daß sie in der Folge die vorhandenen Gliederungen zer-
stören, so setzen sie (im betroffenen Umkreise) an Stelle eines Gliederbaues ein
Chaos von nicht zueinander passenden Wirtschaftsatomen, und es entstehen dann
in Form von Krisen, Stillegungen, Elendserscheinungen, Maschinenstürmereien,
Proletariat jene wirtschaftlichen Verfallserscheinungen, die überall neben dem
Kapitalismus einhergehen. Der Eigennutz kann daher auch dort, wo er zwar
unmittelbar der Wirtschaftshandlung die objektive Eingliederungseigenschaft
gibt — z. B. in den gegebenen Betrieb, in den gegebenen bestimmten Markt —,
dadurch mittelbar vorwiegend e n t g l i e d e r n d e Eigenschaft haben, daß die
Umgliederungsfolgen wieder zur Zerstörung der Gliedhaftigkeiten anderer Wirt-
schaftsgebilde führen.
Überall wo das Ganze die guten Eingliederungskräfte mit Erfolg
geweckt hat, wo Tatendrang, Arbeitsliebe, Hingabe, Pflichtgefühl,
Zunftgeist und Ehre ein frisches, schöpferisches Leben hervorrufen,
dort sehen wir eine stetige und vor allem eine sittlich gehobene
Wirtschaft, das heißt aber eine Wirtschaft mit der Neigung, den
h ö h e r e n K u l t u r z i e l e n ganz vorzugsweise zu dienen. Das
mittelalterliche Handwerk war zum guten Teile Kunsthandwerk,
und durch die ganze mittelalterliche Wirtschaft ging ein sakraler
Zug. Das höhere Ziel veredelte auch den Eingliederungsgrund. Die
organisatorischen Voraussetzungen der Wirtschaft lenkten Beispiel
und Wetteifer auf Veredlung der Leistung („Qualitätsarbeit“) und
weniger auf die Augenblickseingliederung in den Markt.
Aus all dem folgt, daß der Eigennutz, soweit er als subjektiver
Bestimmungsgrund für objektive Eingliederung überhaupt in Be-
tracht kommt, gewissermaßen eine amorphe und zuletzt zerstö-
rende Kraft ist. Die e i g e n n ü t z i g e W i r t s c h a f t i s t
e i n e U t o p i e . Jede genauere wirtschaftsgeschichtliche Betrach-
tung zeigt denn auch, daß der Eigennutz in Wahrheit überall nur