Für die gesamten Gesellschaftswissenschaften entscheidend, aber
noch immer nicht allgemein anerkannt, ist die Wahrheit: daß es zu-
letzt nur zwei grundsätzliche Auffassungen vom Wesen der Gesell-
schaft gibt, eine individualistische oder atomistische und eine uni-
versalistische oder organische; daß es darum insbesondere auch
zweierlei Auffassungen vom Wesen der Wirtschaft gibt, eine indi-
vidualistische und eine universalistische. Trotz aller Buntheit der
Lehrbegriffe, die die Geschichte des volkswirtschaftlichen Denkens
kennt, gibt es daher doch nur zwei Arten von Volkswirtschafts-
lehre, nur zwei Geschlechter von Wirtschaftslehren, die individuali-
stische und die universalistische.
Wer sich je gründlich in der Geschichte der Volkswirtschaftslehre
umgetan, wird das bestätigt finden. Wir wollen es aber nicht an
Hand der geschichtlichen Entwicklung beweisen, sondern die Grund-
gedanken beider Volkswirtschaftslehren, ihre tragenden System-
begriffe, entwickeln und miteinander vergleichen. Die marxistische
Lehre scheiden wir als eine unorganische Mischung beider Grundauf-
fassungen von vornherein aus
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; ebenso die streng geschichtlichen
Richtungen, die untheoretisch blieben.
I. Die individualistische Volkswirtschaftslehre
Wie sieht das Begriffsgebäude der i n d i v i d u a l i s t i s c h e n
V o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e in den verschiedenen Zeiten und
bei den verschiedenen Verfassern aus?, welche sind überall seine
tragenden Lehrbegriffe? Diese Frage gilt es zuerst zu beantworten.
Wir betrachten zunächst die verfahrenmäßige Einstellung, das
wissenschaftliche E r k e n n t n i s i d e a l , welches alle individuali-
stische Volkswirtschaftslehre bewußt oder unbewußt beherrscht.
Die Entstehung der individualistischen Volkswirtschaftslehre fällt
in die Zeit, da die Philosophie der Aufklärung ihren Sieg feierte.
Die Physiokraten legen den Grund, Adam Smith und David Ri-
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Den Nachweis dafür siehe in meinem Buche: Der wahre Staat, 2. Aufl.,
Leipzig 1923, S. 141 ff. (jetzt: 5. Aufl., Graz 1972 = Gesamtausgabe Othmar
Spann, Bd 5, S. 195 ff.).