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Heutzutage ist man sich über diese Dinge vielfach nicht mehr
ganz im klaren und ist geneigt, das Gesagte als Übertreibung hin-
zustellen, wie sogar die ganze Unterscheidung von Individualismus
und Universalismus. Demgegenüber muß aufs Bestimmteste erklärt
werden, daß es mit dem mechanischen, atomistischen und indivi-
dualistischen Erkenntnisideale jenen Geschlechtern bitterer Ernst
war. Man braucht aber nicht einmal das Schrifttum jener Zeiten
zu studieren, um sich davon zu überzeugen. Es genügt auch ein
Blick auf das heutige Schrifttum jener Länder, in denen die klas-
sische Volkswirtschaftslehre bis jetzt ungebrochen herrscht, wie in
Schweden und in England (in Amerika ist man seit dem Kriege
durch das Aufkommen der „institutioneilen Schule“, einer rea-
listisch-geschichtlichen Schule, davon abgekommen). Für England
verweise ich auf das Buch von Henderson, „Angebot und Nach-
frage“
1
. Wer an dem Gesetze von Angebot und Nachfrage rüttelt,
wird von Henderson mit jenem gleichgestellt, der „den Mond an-
bellt“
2
. Man braucht aber auch nur Mengers Methodenbuch nach-
zulesen, um dasselbe als selbstverständlich vorzufinden. Bei Cassel
herrscht zwar weniger methodologische Bewußtheit, aber die eben
entwickelten Grundsätze sind ihm so selbstverständlich, wie daß
morgen die Sonne aufgeht. Ja sogar noch in der Windelband-Ricker-
tischen Logik gibt es keine andere Möglichkeit, als daß neben der
untheoretischen „idiographischen“ (individuellen) Begriffsbildung
der Geschichte die „generellen Begriffe“, das heißt aber die natur-
wissenschaftlichen, mechanisch-ursächlichen G e s e t z e einher-
gehen. Volkswirtschaftliche Theorie soll darnach methodologisch
nur in demselben Sinne möglich sein wie Theorie der anorganischen
Natur. Auch in der deutschen Öffentlichkeit herrscht aber dieser
Geist noch vor. Erklärten denn Politiker wie Gelehrte in Deutsch-
land den Valutensturz oder die Inflation nicht allgemein nach dem
„Gesetze“ von Angebot und Nachfrage? Erklärte man nicht all-
gemein, die Börse sei daran ganz und gar unschuldig, denn sie sei
lediglich ein „Manometer“, das den Druck von Angebot und Nach-
frage anzeige?
1
Hubert Henderson: Angebot und Nachfrage, aus dem Englischen übersetzt
von Melchior Palyi, Berlin 1924.
2
Hubert Henderson: Angebot und Nachfrage, a. a. O., S. 17.