Die Religionssoziologie betrachtet alle Religion als Teil des ge-
schichtlichen und gesellschaftlichen Lebens. Sie sieht sich dabei vor
dieselben Gegensätze und Grundentscheidungen gestellt wie die
übrigen Teile der Soziologie: zuerst vor den Gegensatz der indi-
vidualistischen und universalistischen Auffassung der Gesellschaft,
sodann vor jenen der empiristischen und idealistischen Auffassung
des geistigen Inhaltes der gesellschaftlichen Gebilde.
Nach der individualistischen Auffassung ist die religiöse Gemein-
schaft als die Summe der Gläubigen zu erklären. Deren subjektives
religiöses Leben wird dadurch der eigentliche Gegenstand der Wis-
senschaft, die Religionssoziologie wird zur R e l i g i o n s p s y -
c h o l o g i e , und zwar im subjektivistischen Sinne. Nach der uni-
versalistischen Auffassung dagegen wird die Religion als geistige
Ganzheit erklärt, welche die einzelnen Gläubigen in sich als Glieder
befaßt, als geistige Ganzheit, welche im subjektiven Eigenleben der
Glieder jeweils erzeugt wird und zur Erscheinung kommt. Die
Religionssoziologie wird dadurch zur Lehre von einer verhältnis-
mäßig objektiven Geistigkeit, zu einer o b j e k t i v e n G e i s t e s -
l e h r e , die allerdings das Eigenleben der einzelnen Menschen
nicht ausschalten darf. (Man denke zum Beispiel an den christlichen
Begriff des corpus Christi mysticum.)
Der Widerstreit der individualistischen gegen die universalistische
Auffassung liegt in den Fragen und Denkaufgaben der Gesellschafts-
lehre offen vor Augen. Er bildet auch den ewigen Bestand der Ge-
schichte aller Gesellschaftswissenschaften. Leugnen könnte ihn nur,
wer weder diese Geschichte noch jene Fragestellung kennt. Anders
steht es mit dem Gegensatze „empiristisch — idealistisch“, der näm-
lich nur ein mittelbarer ist und nicht dem Gefüge und Bau der Ge-
sellschaft, nicht der zergliedernden Fragestellung der Gesellschafts-
lehre unmittelbar selbst angehört. Erst insofern nämlich, als die
zergliedernde Untersuchung der Gesellschaftslehre bestimmte In-
halte, geistige Inhalte, zum Beispiel „Religion“, „Wissen“, „Kunst“,
als Gegenstand vorfindet; und als das Geistige nicht einfach nach
„induktivem Verfahren“ verzeichnet, beobachtet werden kann, son-
dern, da es nichts Äußeres ist, vielmehr innerlich a u f g e f a ß t ,
sinnvoll g e d e u t e t werden muß, steht die Gesellschaftslehre vor
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